Freispruch von oben – (Anti-)Rassismus in der DDR

Die DDR gründet sich 1949 unter dem Vorsatz einen antifaschistischen und antirassistischen Staat zu schaffen. 40 Jahre lang wird dieses Bild nach außen und innen propagiert, Meldungen über rassistische Zustände und Übergriffe dringen kaum an die Öffentlichkeit. Doch von einem tatsächlichen Bruch mit rassistischen Kontinuitäten kann keine Rede sein. Der verordnete Antirassismus scheitert an vielen Stellen und deckt sich wenig mit konkreten Regelungen der Migrationspolitik. So viele strukturelle Unterschiede es in West- und Ostdeutschland auch gegeben hat, keines der Systeme schien an einer umfangreichen Auseinandersetzung mit dem fortwährenden Rassismus interessiert zu sein. Viele von denen, die heute mit rassistischen Parolen durch die Straßen ziehen wuchsen innerhalb dieser beiden Staatsideologien auf. Auch wenn es gleichermaßen einer Analyse rassistischer BRD-Strukturen benötigt, ist dies Grund genug, auch die DDR-Geschichte unter einer Perspektive zu betrachten, die viel zu oft vergessen wird.

Im Zentralen Parteiarchiv der SED in Berlin findet sich ein Schreiben aus dem Jahr 1962 des Kaderhauptleiters VEB Carl-Zeiss Jena. Er informiert darin das Ministerium für Volksbildung über besondere Vorgänge in seinem Betrieb: Für drei Auszubildende aus Kamerun, die in seinem Betrieb beschäftigt sind, seien die „Lebens- und Arbeitsbedingungen unhaltbar“ geworden. Gegenüber Lehrerenden und Ausbildenden verhielten sich die drei „frech und undiszipliniert“. Der Heimleiter ihrer Unterbringung wolle sie anderweitig unterbringen, nachdem sie sich „äußerst undiszipliniert“ verhalten hätten. Zuvor seien mehrere deutsche Mädchen aus den Zimmern der Lehrlinge „entfernt“ worden. Dies schlage sich auf die Stimmung der deutschen Werktätigen nieder und es käme zu „keinen gesunden Diskussionen“. Das Schreiben beinhaltet ein Ultimatum, wonach die drei Männer aus der DDR ausgewiesen werden müssten, würde sich keine „andere Verwendung“ für sie finden lassen. An gleicher Stelle findet sich noch ein weiteres Schreiben. Es ist an den Direktor des VEB Carl-Zeiss Jena adressiert und stammt von eben jenen drei Auszubildenden. Auch sie beschreiben den Konflikt und setzen ein Ultimatum, nach welchem sie nach Kamerun zurückkehren würden, ändere sich die Situation für sie nicht – nur weichen ihre Eindrücke deutlich von denen des Funktionärs ab: Die Atmosphäre in Betrieb und Stadt mache ihnen ein Leben in Jena „unmöglich“. Demnach blieben die Menschen ihnen und ihren Problemen gegenüber gleichgültig; Unterstützung erhielten sie keine. Betriebs- und Heimleitung verböten ihnen Besucher zu empfangen. Die polizeilichen Einsätze in ihren Wohnungen seien „unbarmherzig“ abgelaufen, wogegen sie vehement protestieren. Dies sei eine Situation, die sie unter keinen Umständen weiter tragen könnten.[1]

Über den Ausgang des Konfliktes im VEB Carl-Zeiss Jena ist (uns) nichts bekannt, ähnlich wie bei vielen anderen Fällen rassistischer Diskriminierung in der DDR. Ein Grund dafür liegt in der späten Aufarbeitung derartiger Vorkommnisse. Nur die wenigsten rassistischen Diskriminierungen wurden in der DDR Öffentlichkeit diskutiert; journalistische oder wissenschaftliche Publikationen zum Thema waren – auch auf Druck „von oben“ – quasi nicht existent. Nichtsdestotrotz waren sie Teil der gesellschaftlichen Realität und der Fall im VEB Carl-Zeiss Jena 1962 nur einer von vielen. Obwohl uns dort nur diese beiden Briefe zur Verfügung stehen, zeigen sie bereits die unterschiedlichen Ebenen auf denen rassistische Vorkommnisse stattfinden und wie unterschiedlich sie wahrgenommen werden. Sie reichen von der ganz greifbaren Wohnsituation über die Forderungen nach behördlichen Grenzen bis hin zur ideologischen Einordnung bestimmter Verhaltensmuster. Begreifen wir Rassismus als eine Struktur, die in all diese Bereiche hineinwirkt und sich kontinuierlich reproduziert, dann kommen wir nicht umhin auch diesen Teil der politischen Kultur der DDR mitzudenken. In vielen Punkten unterscheidet sie sich im Umgang mit Rassismus von der BRD nach 1945. Die Analyse des historisch gewachsenen Rassismus kann zwar nicht der einzige Zugang zu den gegenwärtigen Zuständen bleiben, ist aber dennoch unabdingbar, wenn wir auch die Situation in Sachsen im Kontext ihrer jüngeren Geschichte verstehen wollen.

Abgrenzung schafft Deutungshoheit

Große Teile der Führungsriegen von BRD und DDR beanspruchten die Legitimität eines „deutschen“ Staates für sich, einschließlich eines vermeintlich „richtigen“ Umgangs mit Migrant*innen. Dass es in Deutschland bis heute so schwer fällt sich mit dem Status eines „Einwanderungslandes“ zu identifizieren, ist auch auf die unterschiedlichen Zugänge zur Migrationspolitik zurückzuführen. Zwar setzten sowohl BRD als auch DDR ab den 60er Jahren vermehrt auf die Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte – förderten also intensiv die Migration nach Deutschland – begründeten und strukturierten dies ideologisch jedoch deutlich abgegrenzt voneinander. Die gesellschaftliche Bewertung von Migration dabei u.a. von ihrem eigenen Nationalverständnis abhängig. Zwar ist die Durchsetzungsfähigkeit staatlicher Propaganda auf kollektive Einstellungsmuster immer mit Vorsicht zu betrachten, sie kann aber als Hinweis dafür dienen, welche Bedeutung dem Umgang mit rassistischen Einstellungen in einer Gesellschaft eingeräumt wird.

Im Stile des „Freund-Feind-Denkens“ des Kalten Krieges galt die BRD seitens der DDR auch migrationspolitisch als direkte Weiterführung des NS-Staates, speiste sie ihre Marktwirtschaft doch durch die kapitalistische Ausbeutung sogenannter „Fremdarbeiter*innen“. Laut DDR-Propaganda führte die westdeutsche Gesellschaft die Tradition der „NS-Fremdarbeit“ somit nahtlos weiter. Die eigene Anwerbung von Arbeiter*innen stütze sich hingegen auf eine „internationale Solidarität“, die jegliche Ausbeutung und Klassenunterschiede bereits im Grunde bekämpfe. So hält die Verfassung von 1974 fest: „Sie [die DDR] trägt getreu den Prinzipien des sozialistischen Internationalismus zu ihrer Stärkung bei, pflegt und entwickelt die Freundschaft, die allseitige Zusammenarbeit und den gegenseitigen Beistand mit allen Staaten der sozialistischen Gemeinschaft.“ Der Antifaschistische Staat, dessen Mythos die DDR bei ihrer Gründung 1949 für sich proklamierte, sei demnach schon im Grunde abgekoppelt von jeglicher rassistischer bzw. menschenverachtender Diskriminierung. Letztendlich seien diese ein Bestandteil der „westlichen“ Gesellschaften, die sich pauschalisiert nie von den Verbrechen der NS-Politik distanziert hätten. Der Faschismus werde damit mit all seinen Nebenschauplätzen – (Neo-)Kolonialismus, Imperialismus oder Klassismus – in der BRD weitergeführt. Das Nationalverständnis der DDR gründete damit unter anderem auf bewussten Abgrenzungsmechanismen: Als Antifaschistischer Staat beanspruchte sie den „richtigen“ Umgang mit der NS-Zeit und definierte sich selbst als Gesellschaft kommunistischer Widerstandskämpfer*innen. Sie steht deswegen entgegen dem imperialen „Westen“, der genau dies versäumt.

Unabhängig von der berechtigten Kritik an der fehlenden Aufarbeitung der NS-Zeit in der BRD zeichnete sich auch der Umgang der DDR mit der Geschichte des Nationalsozialismus durch Verweigerungshaltung aus. Trotz der deutlich stärkeren Suspendierung nationalsozialistischer Führungskader wurde bereits dort eine Sensibilisierung bezüglich rassistischer Gesellschaftsmuster behindert. Erinnerungs- und Geschichtspolitik fokussierten sich in der DDR auf die Rolle kommunistischer Widerstandskämpfer*innen gegen das Nazi-Regime. Sie vollzogen gewissermaßen einen Freispruch der ostdeutschen Bevölkerung von den Verbrechen vor 1945, in dem sie jegliche Verantwortung auf den bereits angesprochenen „NS-Nachfolgestaat BRD“ ausgliederte. Aus ostdeutschen Mittäter*innen wurden so per Staatsdefinition politische Opfer. Der kommunistische Widerstand definiert fortan die real breit gefächerte Gruppe politisch Verfolgter und übernimmt die Deutungshoheit über das Leiden im NS-Regime. Eine getrennte Erinnerung der unterschiedlichen Opfergruppen wurde dadurch beinahe unmöglich. Gleichzeitig verdeckte die starke Fokussierung und Heroisierung kommunistischer Kämpfer*innen den antisemitischen und rassistischen Kern nationalsozialistischer Ideologie. Bezüglich der Bedeutung von Rassentheorien im NS-Regime geriet sie so zum Teil in einen Grauzonenbereich, was im Mindesten deren Relativierung wenn nicht gar eine indirekte Leugnung zur Folge hatte.[2] Demnach ist es paradox und bezeichnend gleichermaßen dass die VVN (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes) 1953 in der DDR durch SED-Behörden aufgelöst wurde. Indem die DDR-Propaganda einen antifaschistischen und offiziell antirassistischen Staat proklamierte, schloss sie gewissermaßen den Raum für eine kritische Auseinandersetzung innerhalb der Zivilgesellschaft. Tabuisiert wird, was dem gewünschten Bild schadet. Individuelle Erfahrungen mit Rassismus und Diskriminierung müssen sich demnach in großen Teilen dem parteilich verordneten Antifaschismus unterordnen. So sehr in der Verfassung Solidaritätsprinzipien und Freundschaftsbekundungen zum sozialistischen Ausland auch hochgehalten wurden, so wenig deckte sich dies mit konkreten politischen Regelungen, die darüber hinaus massiven Einfluss auf das Zusammenleben von Migrierten und DDR-Staatsbürger*innen[3] hatten.

Vertragsarbeit in der DDR

„Wir müssen oft die gefährlichsten Tätigkeiten ausüben und werden an gesundheitsschädigenden Arbeitsplätzen ohne Arbeitsschutzmittel und Zuschläge beschäftigt“, schreibt Anfang 1990 eine Arbeiterin aus Vietnam an die Junge Welt.[4] Vietnam ist eines der sogenannten Hauptentsendeländer für Arbeitskräfte in die DDR, gefolgt von Polen, Mosambik und Chile. Es sind vor allem Berufe, die von DDR-Bürger*innen nur wenig ausgeführt werden – „monotone Maschinenarbeit, körperlich schwere Tätigkeiten, Schichtarbeit.“[5] Neben den Arbeiter*innen, die ganz gezielt in ausgewählten Betrieben unterkommen, sind es auch Student*innen, die in der DDR ausgebildet werden sollen. Gemessen an der Gesamtbevölkerung bleibt ihre Zahl jedoch immer gering. 1989 gelten etwa 190.000 Menschen und damit etwa 1,3% der in der DDR lebenden Menschen als Ausländer*innen. Zum Teil versuchte diese als „Arbeitskräftekooperation“ bezeichnete gesteuerte Einwanderungspolitik die rückläufige Zahl der DDR-Bevölkerung auszugleichen. So groß die Sorge um die sinkende Einwohner*innenzahl innerhalb SED-Führungskadern auch sein mochte, zu keinem Zeitpunkt war es Ziel der Migrationspolitik eine längerfristige Ansiedlung der Menschen zu generieren. Arbeiter*innen oder Studierende, die in die DDR kamen, sahen sich in der Regel mit einem rigiden Regelsystem konfrontiert: Ein striktes Rotationsprinzip beschränkte die Aufenthalte auf eine Zeit von zwei bis fünf Jahren, der Nachzug von Familienangehörigen war generell verboten. Erst ab 1988 war es Vertragsarbeiterinnen überhaupt erlaubt auch während einer Schwangerschaft in der DDR zu bleiben, zuvor drohte die direkte Ausweisung. Einklagbare Rechte gab es für die migrierten Menschen quasi keine. Stattdessen ergänzte den Grundsatz „DDR-Bürger und Ausländer genießen die gleichen Rechte“ eine Verordnung, welche besagte „Genehmigungen können ohne Begründung entzogen, begrenzt und genehmigt werden.“. In der Praxis hebelte dieser willkürliche Zusatz jegliche rechtliche Sicherheit aus und machte Migrierte vollständig abhängig von der Gunst ihrer zuständigen Behörden. Eine solch institutionell abhängige und geschwächte Position verhindert in ihrer Konsequenz eine gleichberechtigte gesellschaftliche Stellung.

Auch wenn davon ausgegangen werden muss, dass sich das Zusammenleben aller je nach Betrieb, je nach Wohnort unterschiedlich gestaltete, so schufen doch die strukturierten Rahmenbedingungen eine deutliche Distanz zwischen Ortsansässigen und Migrierten. In Wohnheimen untergebracht, die sich in der Regel am Stadtrand befanden, wohnten die Menschen grundsätzlich kollektiv und geschlechtergetrennt. Das hatte nicht nur eine soziale und räumliche Trennung zur Folge, wie wir sie auch heute in großen Teilen der zentralisierten Asylunterbringung beobachten können. Es nährte auch bereits bestehende gruppenbezogene Ressentiments. Generelle Einlasskontrollen in Wohnheimen, regelmäßige Razzien oder die massive Behinderung von Familiengründungen stuften vor allem Vertragsarbeiter*innen tendenziell als Sicherheitsrisiko ein – Stigmatisierungen, die sich bis heute als eine der hartnäckigsten Stereotype reproduzieren. So bleibt bei jeder Verdächtigung, so haltlos sie sich am Ende auch erweisen mag, letztendlich eine gewisse Restskepsis an der Unschuld der*des Angeklagten zurück. Das ist erst recht der Fall, wenn der Umgang mit Menschen, die als homogene Gruppe von der Mehrheitsgesellschaft wahrgenommen werden, sich strukturell nicht ändert. Kontinuitäten dieses strukturellen „Kleinhaltens“ von Menschen ohne deutschen Pass sind bis heute gängig und beschränken sich nicht allein auf die offensichtlichen Praktiken in der Asylpolitik. Mit der Etablierung neoliberaler Wirtschaftsmechanismen ist es zwar heute nicht mehr der Staat allein, der die absolute Kontrolle über Rahmenbedingungen der Arbeitsmigration hat. Moderne Vertragsarbeit schließt in der Regel konkrete Unternehmenskooperationen in bestimmten Branchen ein. Nichtsdestotrotz wird dabei weiter nach einem hierarchisierenden Prinzip gearbeitet, dass Nicht-Deutschen/Nicht-EU-Bürger*innen eine langfristige und gleichberechtigte Ansiedlung massiv erschwert. Eines der bekanntesten Beispiele ist die Anwerbung von Arbeitskräften für medizinische Berufe. Ärzt*innen aus Nicht-EU-Staaten ist ein Einstieg in das Approbationsverfahren grundsätzlich verwehrt. Dies ist jedoch notwendig um als Ärzt*in eigenständig praktizieren zu können. An Stelle dessen bietet der Staat die Möglichkeit eine Berufserlaubnis zu erhalten, welche sich in der Regel auf maximal 7 Jahre beschränkt und nicht selten an einen bestimmten (zunehmend privaten) Krankenhausbetrieb gebunden ist. Sowohl rechtlich als auch ökonomisch sind die Menschen damit deutlich schlechter gestellt, als ihre Kolleg*innen mit EU-Pass unabhängig von ihrer medizinischen Laufbahn und in weiten Teilen der Gunst ihrer Arbeitgeber*in ausgeliefert.

Erst Staat, dann Mensch

Auch wenn es nach 1990 systemische Brüche in Rechtssprechung und Wirtschaftspolitik zu verzeichnen gilt, so lassen sich auch aus der DDR Muster erkennen, die die deutsche Gesellschaft als exklusives Kollektiv festigen. Verstehen wir diese Exklusivität als einen bestimmten Mechanismus, der immer einen Akt des „Othering“ (also des jemanden zu etwas „Fremden“ bestimmen) und der Hierarchisierung bestimmter Menschengruppen beinhaltet, lassen sich darin auch Antriebskräfte für rassistische Einstellungen erkennen. Die pauschale Übertragung bestimmter Eigenschaften und Zugehörigkeiten, welche rein an der Nationalität eines Menschen vollzogen wird, war auch zentrales Moment der DDR-Ideologie.

Bildung, Erinnerung oder Staatsverständnis der DDR waren immer auch patriotisch geprägt. Das Streben nach der klassenlosen Gesellschaft – wie interpretierbar dieser Grundsatz auch ist – setzte eine kritiklose Identifizierung mit dem eigenen Kollektiv voraus. „Mit Stolz das blaue Halstuch zu tragen“ bedeutete gleichermaßen einen „Stolz“ auf die Errungenschaften der DDR zu verbreiten; nach innen wie nach außen. Die Unterordnung in das Kollektiv der DDR-Gemeinschaft, deren zentraler Identifikationspunkt die eigene Nation ist, machte jede*n DDR-Bürger*in gleichzeitig zu deren Repräsentant*in. Diese direkte Verknüpfung eines Menschen mit ihrer jeweiligen Nationalität war zentraler Bestandteil des Nationenverständnisses der DDR. An vorderster Stelle prägt den Umgang mit einem Menschen seine Staatsbürger*innenschaft. Diese ist identisch mit ihrer*seiner Nationalität und von Geburt an fixiert. Die groß zelebrierte Freundschaft zum sozialistischen Ausland und der damit einhergehend staatliche initiierte Kontakt verschiedener Bürger*innen avancierte so gleichzeitig zu einer Art diplomatischem Austausch. Auch wenn dieser Grundsatz nicht auf alle Situationen übertragbar ist, Menschen sich natürlich auch unabhängig von Staatsdoktrin begegneten, kann aber die Tendenz zu einem streng „offizialisiertem“, also „von oben“ reguliertem Kontakt festgehalten werden. Dies gibt zwangsläufig der Entstehung und Festigung von Stereotypen Raum – vorausgesetzt die entsprechenden Klischees werden unreflektiert weitergetragen und stärken die eigene Position. In diesem Punkt verharren DDR und BRD im gleichen, latenten Weltbild: Die Vorrangstellung der eigenen Nation steht trotz allen International(istischen) Bekundungen nicht grundsätzlich zur Disposition. Die globale Rollenverteilung baut trotz Gleichwertigkeitsparadigmen wie in der DDR, auf einem postkolonialen Eurozentrismus auf. Während die DDR-Bürger*innen Hilfe gewähren und Solidarität aussprechen, nehmen die „Anderen“ diese demütig und dankbar an. Spätestens an diesem Punkt wird deutlich, dass der sogenannte „Kalte Krieg“ keineswegs auf die Trennlinie von kommunistischen und kapitalistischen Staaten zu reduzieren ist. Auch innerhalb dieses Dualismus blieb das (neo-)koloniale Machtgefüge zwischen (ehemals) Kolonisierten und Kolonisierenden immer bestehen. Eine Einstellungsstudie der ISG[6] von 1990 unter DDR-Bürger*innen besagt zur Beliebtheit von Nationalitäten, das Westeuropäer*innen von jeglicher Feindschaft ausgenommen sind, während hingegen vor allem Nicht- und Osteuropäer*innen zum Zielobjekt von Fremdenfeindlichkeit werden. Auch in der Blockpolitik des sogenannten „Kalten Krieges“ gab es keinen absoluten Bruch in der Hierarchisierung zwischen Globalem Norden und Süden. Sie bildet eine Grundlage für nationalistischen Chauvinismus, der von BRD und DDR gleichermaßen genutzt und gefördert wurde und wird. Das Selbstverständnis der „gebenden“ DDR-Bürger*in schließt das Bild der „(weg)nehmenden“ Ausländer*in ein. Umso fester dies verankert ist, desto einfacher finden Schuldzuweisungen Anklang. Ein Beispiel: In den 80er Jahren nimmt die Hetze gegenüber Pol*innen durch die DDR-Gesellschaft massiv zu. Grundlage dafür bietet der Vorwurf Menschen aus Osteuropa würden vor allem in Grenzgebieten die lokale Wirtschaft durch Masseneinkäufe, organisierten Schmuggel und Schwarzarbeit intensiv schädigen. Eigene wirtschaftspolitische Fehler fanden so einen leicht lokalisierbaren Sündenbock. Das bewusste Schüren von Konkurrenzdenken zwischen einem vermeintlichen „wir“ und „den Anderen“ verstärkt und nutzt gleichzeitig bereits vorhandene Kriminalisierungen. Die bereits angesprochene Stigmatisierung von Nicht-Deutschen als Sicherheitsrisiko findet darin ihre konkrete Konsequenz. Die so begründete Grenzverschärfung zwischen der DDR und Polen Ende der 80er Jahre war kaum öffentlicher Kritik ausgeliefert, diente sie doch dem „notwenigen Schutz der Volkswirtschaft“.

„Deutsche Tradition“

Entgegen vielen alltagstauglichen Vorstellungen ist Geschichte keine Aneinanderreihung von Kapiteln, die sich in mehr oder weniger starker Intensität wiederholen. Es ist zu kurz gegriffen, wenn wir angesichts der erschreckenden Lage selbstbewusstem Rassismus und Nationalismus in Deutschland, vor den Zuständen der 1990er oder 1930er Jahre warnen. Gesellschaftliche Phänomene wie Rassismus sind latent immer vorhanden und brechen nicht nur ab und zu aus.[7] Sie können deswegen nicht auf konkrete physische Gewalt reduziert werden. In der Wiedervereinigungseuphorie bestärkten und bestätigten sich nationalistische und exklusive Einstellungen beider Gesellschaften gegenseitig. Mit dem Traum von neuer Stärke des exklusiven „Deutschen Volkes“ vereinigten sich nicht nur zwei Staaten sondern auch zwei Stränge rassistischer Tendenzen. Weder im Osten noch im Westen wurden sie „importiert“, sondern konstituierten in BRD und DDR eine Identität, die nur durch Abgrenzung nach außen möglich war und bis heute ist. In solch einer politischen Kultur ist es einfach offen zutage tretenden Rassismus an die Ränder zu schieben. Rechtsradikale Einstellungen, Übergriffe und Morde sind der Mitte demnach fremd und Neonazis ohnehin angeblich gesellschaftliche „Außenseiter“. Dumpfe Parolen sind hier Gewohnheit. Gleichen die rassistischen Einstellungen der Mitte aber denen, die sonst „Deutschland den Deutschen skandieren“ so haben ihre Forderungen eine Legitimation für den politischen Diskurs. Umso mehr, wenn Bewegungen wie PEGIDA zu deren Salonfähigkeit beitragen. Mal reiht sich dann der*die Gesetzgeber*in in den rassistischen Mob ein, mal läuft er*sie an dessen Spitze: Sondereinheiten für straffällige Asylbewerber werden eingesetzt (Ulbig 2015), Abschiebelager vorbereitet (Seehofer, Tillich, Scholz, u.a. 2015), Asylrechtsverschärfungen beschlossen (SPD/CDU/FDP 1993, SPD/CDU 2015), Grenzkontrollen reaktiviert (SED 1980, CDU/SPD 2015,) oder Zuzugsstopps ausgerufen (SPD/FDP 1973, CSU 2010). Und so wird eine „Mitte“ die größte Bedrohung für die, von denen sie sich so bedroht fühlt. Und schützt sich ein Sozialsystem vor den Menschen, dessen größter Schutz sie eigentlich sein könnten.

Rassismus macht Opfer und Täter*innenrollen in Deutschland weiterhin sehr leicht austauschbar, wohl auch schon beim VEB Carl-Zeiss Jena. Heute wie damals wird Rassismus nach innen vertreten und bringt nicht selten gewollte politische Resultate, solange er möglichst gut nach außen versteckt und seine historische Kontinuität verkannt wird. Welche dieser Geschichten aufgearbeitet wird und welche nicht, ist überaus bedeutend für die politische Kultur einer Gesellschaft. Zur Bewertung der gegenwärtigen Zustände gehört deswegen mehr als der Verweis auf die Eskalationen Anfang der 90er und zum Aufbrechen von nationalistischen Strukturen eine intensive Aufarbeitung rassistischer Kontinuitäten – von Ost bis West.

[1] nach H. Waibel. Kritik des Rassismus in der DDR (2007): Quelle vom 11.4.1962 im IfGA, ZPA, IV 2/20/,57, Berlin

[2] These nach S. Laetsch. Sind wir Deutschland? (2008). diplomica verlag

[3] 1967 führte die DDR die offizielle DDR-Staatsbürger*innenschaft ein, die auf einer Kombination aus Abstammungs- und Geburtsortsprinzip beruhte.

[4] nach B. Siegler. Rechtsradikalismus in der DDR (1991). Verlag Klaus Bittermann

[5] P.G. Poutrus, J. C. Behrends und D. Kuck. Historische Ursachen der Fremdenfeindlichkeit in den neuen Bundesländern. (2000) Aus Politik und Zeitgeschichte 39.2000 (2000): 15-21. S.5

[6] Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik Berlin

[7] Zum Weiterlesen bzgl. Rassismus in Westdeutschland und heute: Jäger, M. „Leben unter Vorbehalt. Institutioneller Rassismus in Deutschland“ (2002) oder Kleff, S. „BRD-DDR. Alte und neue Rassismen im Zuge der deutsch-deutschen Einigung“ (1990)