Afrika in Dresden?

Kakao und Schokolade regional, kolonial und postkolonial

Dresden war im 19. und frühen 20. Jahrhundert das deutsche Zentrum der industriellen Kakaoverarbeitung bzw. Schokoladenherstellung. Die Stadt war durch die Elbe und das entstehende moderne Verkehrsnetz (Straßen, Eisenbahn) günstig an den „Haupt-Rohkakaomarkt“ Hamburg und das Zentrum des deutschen Kolonialwarenhandels – die Messestadt Leipzig – angebunden. Beflügelt wurde diese Entwicklung schon im 18. Jahrhundert durch den Hof mit seinen Bedürfnissen sowie eine entsprechende stadtbürgerliche Oberschicht in der Residenzstadt.1 Stellvertretend für die bereits vor 1800 etablierte Meinung, Schokolade sei ein „Statussymbol der Aristokratie“,2 steht die Pastellmalerei „Das Schokoladenmädchen“ (1745) von Jean-Étienne Liotard, das ein Kammermädchen beim Servieren des Getränks zeigt. Dieses enthielt bereits einen zentralen Aspekt der Bewerbung von Kakaoprodukten: Die Hierarchie zwischen bzw. die Wertigkeit von Menschen, die andere bedienen.3 Populär wurde diese Darstellung allerdings nicht nur durch ihre Aufnahme in die kurfürstliche Gemäldesammlung im Jahr der Entstehung. Vielmehr nahmen im 19. und 20. Jahrhundert gleich mehrere Schokoladenproduzenten in den USA, den Niederlanden und Großbritannien das „Schokoladenmädchen“ in die Logos ihrer Firmen und die Bewerbung ihrer Produkte auf [Abb. 1]; auch die 1838 im Lockwitztal gegründete Firma Chocoladen- und Kakaofabrik Ferdinand Lobeck & Co. bewarb ihre Produkte damit.4 Und schließlich tauchte es auch in der von Gunther Emmerlich ab 1987 für das Fernsehen der DDR moderierten Sendung „Showkolade“ als Staffage auf, bis heute wird es von Dresdner Schokoladeproduzenten verwendet.5 Der hier nur knapp angedeutete Zusammenhang von 18. und 20. Jahrhundert wird im folgenden Gegenstand sein, wobei der Fokus nicht auf der Herstellung, sondern auf der kolonial geprägten Darstellung von Schokoladenkonsum in Dresden liegt.

Schokolade aus Dresden

Am Beginn des 19. Jahrhunderts hielt sich der Konsum von Schokolade in Sachsen und Dresden noch deutlich in Grenzen, wobei „geschmackliche Präferenzen, Modefragen und die ‚katholische Herkunft‘ (Spanien) eine Rolle“ spielten – Kakao kam in dieser Zeit aus Caracas oder Martinique über die spanischen Häfen nach Hamburg und auf die Leipziger Messen.6 Auch in Dresden waren Schokoladeproduzenten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zur maschinellen Verarbeitung und Fabrikproduktion übergangen, aus denen ab den 1830er Jahren Großbetriebe wurden, die zunehmend auf industrielle Schokoladenproduktion umstellten. Nicht selten ‚entwuchsen‘ diese Fabrikationsstätten bereits bestehenden Kolonialwarenhandlungen oder Kaffeehäusern bzw. waren mit diesen ‚kombiniert‘.7 Das prominenteste Beispiel aus Dresden ist hierbei das 1823 gegründete Unternehmen Jordan & Timaeus – die erste Schokoladenfabrik in Sachsen und gleichzeitig eines der bedeutendsten deutschen Schokoladenunternehmen,8 dessen Spuren mit der Jordan- und der Timaeusstraße bis heute in der Dresdner Neustadt zu finden sind. Zu nennen ist zudem die Firma Ferdinand Lobeck im Lockwitztal, die 1859 von Otto Rüger gekauft wurde und die dieser ebenfalls zu einer der größten deutschen Schokoladenfabriken ausbaute, sowie die 1840 gegründete Firma Petzold & Aulhorn und das 1870 in Leben gerufene Unternehmen Hartwig & Vogel.9

Die im 18. Jahrhundert etablierte Meinung über den Konsum von Schokolade ließ auch die Schokoladenindustrie in Dresden noch lange im Ruf einer ‚Luxusindustrie‘ stehen. Der eigentliche ‚Boom‘ setzte erst nach der Reichsgründung ein. Als Massenkonsumprodukt hatte sich Schokolade kurz vor dem Ersten Weltkrieg und in der Zeit der Weimarer Republik durchgesetzt – Kakaoerzeugnisse galten zunehmend als „Genuß- und vor allem als Nahrungsmittel“.10 Erst nach 1871 entstanden deswegen in Dresden Großbetriebe mit hohen Beschäftigungszahlen – von 1875 bis 1907 stieg ihre Zahl von 13 auf 32 Unternehmen an –, kurz vor dem Ersten Weltkrieg arbeiteten weit über 4.000 Dresdner_innen in Schokoladenfabriken. Bis 1925 stieg ihre Zahl nochmals auf 66 Betriebe, die darin beschäftigten rund 5.300 Arbeiter_innen stellten mehr als 10% der im ganzen Deutschen Reich in der Schokoladenindustrie arbeitenden Menschen.11 Noch 1930 galt Dresden als „ein Hauptzentrum in der deutschen Kakao- und Schokoladen-Industrie“.12 Deutlich wird diese Zentrierung in Dresden auch am Umzug des 1877 gegründeten Verbandes deutscher Schokolade-Fabrikanten, der seit 1881 seinen Sitz in der Landeshauptstadt hatte.13 Trotz Enteignung und Demontagen nach 1945 verlor die Dresdner Branche auch in der DDR ihre Bedeutung nicht.14

Afrika – und doch nicht Afrika

In der Bewerbung der Produkte der Dresdner Schokoladenindustrie zeigte sich die „Ambivalenz aus Tradition und Moderne“15 – in ihr finden sich Elemente, die an den Oberschichtenkonsum des 18. Jahrhunderts ebenso anknüpften, wie an den Kolonialismus des 19. Jahrhunderts. Wobei die Momente der Regionalisierung oftmals im ‚Gleichtakt‘ mit Globalisierungstendenzen zu beobachten sind.16 Deswegen würde es zu kurz greifen, die Schokoladenwerbung des 19. und frühen 20. Jahrhunderts auf den Aspekt des Kolonialismus zu verengen. Diesen aber ganz wegzulassen erscheint ebenso unzulässig,17 da die hier verwendeten, rassistisch-klassifizierenden Bilder bei Firmen wie Sarotti bis in die Gegenwart Verwendung finden.

Auf den Verpackungen und Werbungen der Dresdner Schokoladenhersteller, die hier zusätzlich den Maschinenbau und die Verpackungsmittelindustrie (Papier, Blech) beflügelte,18 finden wir vor 1945 zahlreiche lokale und regionale Motive – angefangen beim „Schokoladenmädchen“ über Szenen aus dem Elbsandsteingebirge bis hin zu markanten Gebäuden in Dresden und Umgebung. Mit ihrem „Schwerter-Cacao“ rekurrierten die Dresdner Schokoladenhersteller Riedel & Engelmann zudem auf das kursächsische Wappen und das Logo der Porzellanmanufaktur Meißen; bis heute ist das rekonstruierte „Schwerter-Haus“ der Firma in Dresden-Plauen zu finden.19 

Zwar exportierten die Dresdner Hersteller von Schokolade bereits frühzeitig ihre Produkte. Im späten 19. Jahrhundert und noch in der Weimarer Republik standen sie allerdings unter starkem Konkurrenzdruck von Schweizer Schokoladen, die preiswerter hergestellt werden konnten und qualitativ einen besseren Ruf genossen.20 Als zweite Gruppe können deswegen Schweizer Motive angeführt werden, auf Dosen von Rüger fanden sich beispielsweise schon vor dem Ersten Weltkrieg Kühe vor Alpenpanorama. Geradezu idealtypisch für den Bezug auf die Schweiz in Dresden ist aber die Marke „Tell“ von Hartwig & Vogel, die auch in Kombination mit regionalen und lokalen Orten wie Moritzburg oder dem Dresdner Rathaus beworben wurde [Abb. 2].21 

Die dritte Gruppe bilden die kolonialen Motive, die auch von den Dresdner Schokoladenherstellern verwendet wurden. Generell bediente sich die „Werbeindustrie um 1900 […] besonders des Fremden und Exotischen als Blickfang“, um die „Kauflust der Konsumenten zu steigern“ – das „Exotische“ war „als Stereotyp in nahezu jedem Kontext einsetzbar“. Dabei bedeutete „Exotik und Rasse konsumieren“ allerdings nicht lediglich, „den Anderen […] nur ausbeuten, sondern ihn auch noch genießen. Exotik und Kolonialprodukte zu konsumieren hieß für den weißen Verbraucher, die Unterwerfung der Kolonialvölker zu internalisieren.“22 Der Konsum von Kolonialwaren, die vor allem bildlich oder durch Produktnamen in diesen Kontext gestellt wurden, trug demnach grundsätzlich Muster der Wertigkeit und der Unterwerfung ‚des Anderen‘ in sich. Dargestellt finden wir dies beispielsweise auf den Dosen der Marke „Schwerter-Cacao“ um 1900, dort überwachen bewaffnete deutsche Kolonialsoldaten ‚Eingeborene‘ beim Beladen eines Schiffes [Abb. 3]. Auf der Rückseite derselben Dose findet sich eine „paradisische“, vermeintlich afrikanische Landschaft mit Palmen, die auch auf Dosen der Firma Petzold & Aulhorn verwendet wurde. Darstellungen wie diese sind insofern irreführend, als dass Kakao um 1900 kaum aus den deutschen Kolonien stammte. Zwar versuchte man in Kamerun, Togo und Samoa den gezielten Plantagenanbau. Von hier kam aber „keine so genannte Edelsorte“, überdies waren die Mengen überschaubar.23 Der entscheidende Handelspartner war vielmehr die Niederlande,24 die Kakaopulver aus den eigenen Kolonien bezog. Kakaobohnen stammten vor dem Ersten Weltkrieg dagegen hauptsächlich aus Brasilien, aber auch aus Mexiko, Guatemala und Nicaragua; in den 1920er Jahren verschob sich dies stärker auf Ecuador und Venezuela.25 Insofern hatte die Verarbeitung von Kakao im Deutschen Reich wie in Dresden deutlich wenig mit dem afrikanischen Kontinent zu tun. In der Außendarstellung schlug sich dieses Detail allerdings kaum nieder – ein eher seltenes Beispiel ist der Festwagen der „Dresdner Chokoladen-Industrie“ im Rahmen der Wettinfeier 1889, der die mittelamerikanische ‚Wildheit‘ und erneut den Exotismus präsentierte.26 Diese Verschiebung des Bezuges in Richtung Niederlande, die um 1820 datiert werden kann, führte dagegen zur verstärkten Verwendung des „Mohren“, der den bis dahin geläufigen „Indianer“ ersetzte – bewusst verschleierte man die Herkunft des Produktes und setzte auf die ‚afrikanische‘ Exotik von Dienern und erotischen Frauen. Und nicht zuletzt wurde – auch bei Produkten wie Schuhcreme, Kaffee, Zahnpasta, Bleiche oder dem Dresdner Odol-Mundwasser – bewusste mit dem Exotismus oder der Farbe des Produktes gespielt, zu dem entweder Allegorien gesucht oder die in einem schwarz-weiß-Gegensatz dargestellt wurden.27

Jenseits der Produktdarstellung bewarben auch Dresdner Firmen ihr Angebot mit Reklamemarken und Sammelbildern, die um 1900 einen regelrechten ‚Boom‘ in der deutschen Marketingwelt erlebten.28 Und auf diesen finden wir jene Muster des Umgangs mit dem ‚Fremden‘, die regelrecht ‚zeittypisch‘ auch andernorts zu beobachten sind: Die Bonus-Werke Dresden etwa gaben vor 1914 eine Reklamemarke für das Bananen-Kakao-Gemisch „BA-KA“ heraus, auf dem ein dunkelhäutiges Kind zu sehen war. Dieses Motiv, das den/die Fremde_n als infantil und deswegen untergeordnet darstellte, findet sich auch auf zahlreichen Sammelbildern der Firma Hartwig & Vogel oder von Pfunds Molkerei [Abb. 4].29 Die Dresdner Firma Gerling & Rockstroh gab ebenfalls vor 1914 eine Reklamemarke heraus, auf der Kinder im Mittelpunkt standen.30 Allerdings spielte diese auch mit der schwarz-weiß-Differenz – der ‚afrikanische‘ Junge gibt dem ‚europäischen‘ Mädchen, das überdies ein weißes Kleid trägt, eine Tafel „Kakao-Schokolade“ [Abb. 5]. Gerade solche Bilder, die mit farblichen Unterschieden gesellschaftliche oder soziale Differenzen deutlich machen sollten – schwarz der ‚primitive‘ Süden, weiß der ‚fortschrittliche‘ Norden –, finden sich in zahlreichen kolonialen Bildern und Sammelbildern, auch in Dresden.31 Flankiert wurde dieser Wertigkeitsgedanke von Darstellungen, die die ‚Anderen‘ in den Rassismus und Sozialdarwinismus kontextualisierten – hier etwa die Serie „Völkertypen“ von Hartwig & Vogel, die nach der Jahrhundertwende erschien.32 Noch deutlicher wurde dies auf den die ‚Brutalität‘ darstellenden Sammelbildern zum „Herero-Aufstand in Deutsch Süd-West-Afrika“, mit denen Riedel & Engelmann um 1905 ihre „Schwerter-Schokolade“ bewarben.33 

Jenseits der klaren Differenz durch die Farben enthielten die verwendeten Darstellungen aber auch das Bild des „dienenden Fremden“, das sich bei anderen Dresdner Schokoladenherstellern – eben angefangen beim „Schokoladenmädchen“ – und so etwa auf Sammelbildern der Firma Hartwig & Vogel findet: Neben den ‚primitiven‘ Transportmitteln einer „Harems-Karawane in Marokko“ begegnet uns dort eine „Träger-Karawane“ in Deutsch-Ostafrika, flankiert von ebenso ‚primitiven‘ Kriegern mit Speer vor einer Strohhütte [Abb. 6]. Gerade die Vorstellung von den „lernfähigen“ und „treuen“ ‚Afrikaner_innen‘ erlangte im späten Kaiserreich regelrecht ikonografischen Charakter,34 dessen ‚Marketingprototyp‘ der bis heute sprachlich völlig unreflektierte „Sarotti-Mohr“ war. Und nicht zuletzt findet es sich auch bei anderen kolonialen Produkten – der ‚dienende Fremde‘ war eines der zentralen Motive in der Teewerbung und findet sich auch beim Kaffee und bei Zigaretten.

Lange Linien?

Die hier nur knapp geschilderte ‚Mixtur‘ aus ganz unterschiedlichen Bildern hielt sich erstaunlich lange in der Außendarstellung der Unternehmen, die auch nach 1918 und vor allem nach 1933 nicht abbrach – ausgenommen jene nicht seltenen Fälle, in denen Schokoladenfirmen schlichtweg in Konkurs gingen. Dass gerade die kolonialen Bilder in der postkolonialen Ära nach dem Versailler Vertrag weiterhin Bestand hatten, erklärt sich dabei vor allem generativ: Sie wurden schlichtweg noch erkannt von einer Generation, die mit ihnen aufgewachsen war. Beredtes Beispiel aus Dresden ist hier eine Sammelbilderserie, die Jordan & Timeaus um 1930 publizierten – „Sam, Sem, Sim, Som, Sum“ fliegen „aus Afrika“ mit dem „Zeppelin nach Dresden“ und springen mit dem Fallschirm über der Stadt ab; bewusst spielte die Darstellung mit Schwarz/Weiß wie auch dem zugeschriebenen Infantilen und Primitiven [Abb. 7].35 Es waren Bilder wie diese, die die Kolonien noch in der Weimarer Republik zu „Projektionsflächen von Wünschen und Hoffnungen vieler Deutscher“ machten36 – und die damit nicht zuletzt dazu beitrugen, dass koloniale Vorstellungen vom „Volk ohne Raum“ anschlussfähig wurden an die nationalsozialistische Lebensraumideologie.37 Insofern mag es kaum verwundern, dass solche ‚verständlichen‘ Motive auch nach 1933 in der Dresdner Schokoladenindustrie Verwendung fanden – wenngleich in Dresden deutlich die regionalen Motive dominierten; und auch wenn der sogenannte Wiedererwerb der ehemaligen deutschen Kolonien in der aggressive Außenpolitik der Nationalsozialisten der ‚Eroberung von Lebensraum im Osten‘ deutlich nachgeordnet war.38 

Gleich anderen Industrien war auch die Dresdner Schokoladenindustrie von der Bombardierung der Stadt betroffen. Nach Enteignungen, Demontagen und Wiederaufbau entsprechender Standorte sowie nach der Überwindung der Rohstoffengpässe „kehrte“ aber auch hier „so manche Süßware und auch Verpackung aus Vorkriegszeiten zurück.“39 Allerdings nahm Dresden offenbar nur den regionalen Strang der Produktdarstellung wieder auf, was sich in der Namensgebung des VEB Dresdner Süßwarenfabriken „Elbflorenz“ am deutlichsten niederschlug.40 Andernorts ging man weitaus ‚unbefangener‘ mit den vor 1945 gebräuchlichen Kolonialmotiven um: Die um 1960 angebotenen „Görlitzer Kakao-Bonbons“ des VEB Görlitzer Süßwarenfabrik operierten nahezu bruchlos mit dem Motiv des ‚Dieners‘, dessen Anleihen (Sarotti) unverkennbar waren. Auch auf den Verpackungen des VEB Delitzscher Kakao- und Schokoladenwerkes finden wir noch Anfang der 1960er Jahre Südseemotive mit Rumfass oder Schlangenbeschwörer vor ‚orientalischer‘ Kulisse [Abb. 8]. Ähnliches findet sich in der Leipziger Schokoladenindustrie41 – und auch bei frühen Kaffee- und Zigarettenverpackungen.

Erst in den 1960er Jahren verschwanden diese Motive von den Schokoladenverpackungen, was weniger etwas mit einem generativen Wandel in der DDR-Gesellschaft zu tun – qua Sozialisierung konnten die verwendeten Bilder von den Betrachter_innen nicht mehr zugeordnet werden. Vielmehr schlug sich hier die wirtschaftpolitische Integration der DDR nieder: Im Rahmen der Kooperation im „Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe“ (Comecon), dem die DDR seit 1950 angehörte, wurde immer enger mit den sozialistischen Staaten Afrikas zusammengearbeitet. Und die Unterstützung der dortigen Antiapartheitbewegung führte zur auch politisch gewollten Verwendung des Bildes der selbstbewussten und sich emanzipierenden Afrikaner_innen [Abb. 9]. Überdies setzte in der DDR in den 1960er Jahren eine kritische Aufarbeitung der deutschen Kolonialgeschichte ein, freilich unter den neuen ideologischen Vorzeichen.42 Wenngleich der für die DDR bislang kaum untersuchte Alltagsrassismus, den etwa Studierende oder Gastarbeiter_innen zu ertragen hatten, auch mit solchen Bildern korrespondierten: Vorstellungen von Wertigkeit und Unterordnung der ‚Anderen‘ waren in der DDR-Gesellschaft keineswegs abwesend.

In dieser historischen Einordnung und Herleitung von bis heute gängigen Stereotypen liegt erhebliches, auch didaktisch nutzbares Potential. Gleichzeitig lohnen aktuelle Entwicklungen, die Dresden aus Gründen des Stadtmarketings den Titel einer „Schokoladenstadt“ zuschreiben wollen, der kritischen Reflexion über Herkunft und Wirkung: Zwar finden sich in der von November 2013 bis März 2014 im Stadtmuseum Dresden gezeigten Ausstellung „Schokoladenstadt Dresden. Süßigkeiten aus Elbflorenz“ zumindest am Rande Hinweise darauf, dass etwa der überspannte Exotismus des 19. Jahrhunderts auch in Dresden Bestandteil der Produktwerbung war – manch eine_r hätte sich dieses ‚Detail‘ im 21. Jahrhundert deutlich offensiver vorgetragen gewünscht. Jenseits der zahlreichen lokalen entwicklungspolitischen/kulturellen Vereine und Institutionen weist hier die seit mehr als einem Jahr vom fair-trade-Unternehmen Zotter angebotene „dresdner stadtschokolade“ darüber hinaus in die Gegenwart:43 Sie hinterfragt implizit den Zusammenhang von Elbestadt und den kolonialen bzw. postkolonialen Verbindungslinien bis in die Gegenwart. Und sie fragt, ob eine rein positiv besetzte Erzählung von der „Schokoladenstadt“ möglich ist? Fremdheitskonstruktionen, Herrschaftsvorstellungen, Überlegenheitsgefühle – auch das sind zweifelsfrei Momente der „Schokoladenstadt“ an der Elbe. Diese Momente zu berücksichtigen wäre sicherlich ein substanzieller Beitrag zu den aktuell ins Leere laufenden Integrations- und Flüchtlingsdebatten. Und dies gilt auch für die kritische Einordnung von weiterhin von Unternehmen wie Pfunds Molkerei vertriebenen Motiven des kolonialen ‚Exotismus‘.44

Swen Steinberg

1 E. Meißner: Die sächsische Kakao- und Schokoladenindustrie unter besonderer Berücksichtigung der gewerblichen Betriebszählung vom 16. Juni 1925, Greifswald 1930, S. 95; J. Ludwig: Amerikanische Kolonialwaren in Sachsen 1700-1850. Politik, wirtschaftliche Entwicklung und sozialer Wandel, Leipzig 1994, S. 48-60; Ders.: Der Kaffee- und Zuckerhandel in Leipzig 1760-1840, in: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig (Hrsg.) Süße muß der Coffee sein! Drei Jahrhunderte europäische Kaffeekultur und die Kaffeesachsen, Leipzig: Stadtgeschichtliches Museum/Bremen Der Kaffee- und Zuckerhandel in Leipzig 1760-1840, in: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig (Hrsg.) Süße muß der Coffee sein! Drei Jahrhunderte europäische Kaffeekultur und die Kaffeesachsen, Leipzig: Stadtgeschichtliches Museum/Bremen 1994, S. 32-46, hier: S. 32-33; M. Fabian/S. Möge/K. Wünsche: Lever mit Schokolade. Wie sich der Dresdner Geschmack entwickelte, in: R. Lindner/J. Moser (Hg.): Dresden. Ethnografische Erkundungen einer Residenz (Schriften zur Sächsischen Geschichte und Volkskunde 16), Leipzig 2006, S. 177-205, hier: S. 177-180, 184-188, 190.

2 J. Ludwig: Amerikanische Kolonialwaren in Sachsen, S. 84.

3 Vgl. zur „Dienerfigur“ in der Werbung M. Scholz-Hänsel: Das exotische Plakat, Stuttgart 1987, S. 15; K. R. Scherpe: Reklame für Salem Aleikum, in: A. Honold/Ders. (Hg.): Mit Deutschland um die Welt. Eine Kulturgeschichte des Fremden in der Kolonialzeit, Stuttgart/Weimar 2004, S.381-388, hier: S. 384-386.

4 M. Fabian/S. Möge/K. Wünsche: Lever mit Schokolade, S. 180f., 199; E. Eschebach: Statt einer Schokolade, in: Dies./H. Starke (Hg.): Schokoladenstadt Dresden. Süßigkeiten aus Elbflorenz, Dresden 2013, S. 6f., hier: S. 6; H. Starke: Vom Lever zum Schokoriegel. Dresdens Entwicklung zur Stadt der Schokolade im Industriezeitalter (1800-1990), in: ebd., S. 45-73, hier: S. S. 62-64.

5 Vgl. ebd., S. 71, sowie als aktuelles Produkt das „Dresdner Mariechen“ der Firma Vadossi Radebeul unter http://www.vadossi.de/shop/c4-44/dresdner-mariechen-100g-schokoladen-hohlfigur.html [eingesehen am 09.12.2013].

6 J. Ludwig: Amerikanische Kolonialwaren in Sachsen, S. 83f.; Ders.: Der Kaffee- und Zuckerhandel in Leipzig, S. 32f; M. Fabian/S. Möge/K. Wünsche: Lever mit Schokolade, S. 190; B. Böhme: Von der Kakaobohne zur Schokolade. Zur Geschichte der Schokolade und ihrer Herstellung, in: E. Eschebach/H. Starke (Hg.): Schokoladenstadt Dresden. Süßigkeiten aus Elbflorenz, Dresden 2013, S. 9-21. Vgl. allgemein zur Vormoderne in Dresden C. Hochmuth: Globale Güter – lokale Aneignung. Kaffee, Tee, Schokolade und Tabak im frühneuzeitlichen Dresden (Konflikte und Kultur – Historische Perspektiven 17), Konstanz 2008.

7 J. Ludwig: Amerikanische Kolonialwaren in Sachsen, S. 38, 51, 58f., 83-86; U. Hessel: Vom „Chocoladen-Häußgen“ zur Café-Konditorei, in: J. Feldkamp/A. Dresler (Hg.): Das Süße Herz Deutschlands. Sachsens Schokoladenseite. Begleitband zur Sonderausstellung im Industriemuseum Chemnitz, Chemnitz 2011, S. 81-88; B. Böhme: Von der Kakaobohne zur Schokolade, S. 11-16; H. Starke: Vom Lever zum Schokoriegel, S. 45-49. Vgl. hierzu auch allgemein K.-P. Ellerbrock: Geschichte der deutschen Nahrungs- und Genussmittelindustrie 1750-1914 (Zeitschrift für Unternehmensgeschichte, Beiheft 76), Stuttgart 1993.

8 Vgl. J. Ludwig: Amerikanische Kolonialwaren in Sachsen, S. 85f.; H.C. Jacobs: Die älteste Dresdner Schokoladenfabrik „Jordan & Timeaus“ (1823-1931), in: E. Eschebach/H. Starke (Hg.): Schokoladenstadt Dresden. Süßigkeiten aus Elbflorenz, Dresden 2013, S. 74-77

9 M. Fabian/S. Möge/K. Wünsche: Lever mit Schokolade, S. 191; H. Starke: Vom Lever zum Schokoriegel, S. 55-57.

10 E. Meißner: Die sächsische Kakao- und Schokoladenindustrie, S. 20, 66. Vgl. auch V. Hierholzer: Vertrauensartikel Schokolade: Der „Dresdner Verband“ und das erste Reinheitsgebot für Schokolade, in: E. Eschebach/H. Starke (Hg.): Schokoladenstadt Dresden. Süßigkeiten aus Elbflorenz, Dresden 2013, S. 82-84, hier: S. 84.

11 E. Meißner: Die sächsische Kakao- und Schokoladenindustrie, S. 20, 26, 57.

12 C. Greiert: Die Dresdner Schokoladen-Industrie, in: Rat der Stadt Dresden (Hg.): Das Buch der Stadt Dresden, Dresden 1930, S. 114-122, hier: S. 122.

13 Ders.: Festschrift zum 50jährigen Bestehen des Verbandes deutscher Schokolade-Fabrikanten e.V., Dresden 1926, S. 103f., 109f.; M. Fabian/S. Möge/K. Wünsche: Lever mit Schokolade, S. 194-196; V. Hierholzer: Vertrauensartikel Schokolade.

14 Vgl. hierzu H. Starke: Vom Lever zum Schokoriegel, S. 68-73.

15 M. Fabian/S. Möge/K. Wünsche: Lever mit Schokolade, S. 189.

16 M. Schramm: Konsum und regionale Identität in Sachsen 1880-2000. Die Regionalisierung von Konsumgütern im Spannungsfeld von Nationalisierung und Globalisierung, Stuttgart 2002.

17 Überraschenderweise findet sich im sonst sehr differenziert und breit angelegten Beitrag „Lever mit Schokolade“ kein Hinweis auf koloniale Motive oder Hintergründe. Vgl. M. Fabian/S. Möge/K. Wünsche: Lever mit Schokolade.

18 Vgl. für Dresden G. Bleisch: Maschinen aus Dresden für die Süsswarenindustrie. Eine mehr als einhundertjährige Erfolgsgeschichte, in: E. Eschebach/H. Starke (Hg.): Schokoladenstadt Dresden. Süßigkeiten aus Elbflorenz, Dresden 2013, S. 91-105.

19 H. Starke: Vom Lever zum Schokoriegel, S. 62; C. Stephan: Warum gekreuzte Schwerter ein Bürohaus in Plauen zieren, Dresdner Neuesten Nachrichten vom 07.02.2012, Online unter http://www.dnn-online.de/dresden/web/regional/wirtschaft/detail/-/specific/Warum-gekreuzte-Schwerter-ein-Buerohaus-in-Plauen-zieren-659005438 [eingesehen am 09.12.2013].

20 C. Greiert: Festschrift zum 50jährigen Bestehen des Verbandes, S. 39, 45, 47-49, 157.

21 Vgl. zu „Tell“ in Dresden allgemein U. Hessel: Der Tell-Apfel. Kleine Produktgeschichte einer Dresdner Spezialität, , in: E. Eschebach/H. Starke (Hg.): Schokoladenstadt Dresden. Süßigkeiten aus Elbflorenz, Dresden 2013, S. 106-109.

22 J. Zeller: Koloniale Bilderwelten zwischen Klischee und Faszination. Kolonialgeschichte auf frühen Reklamesammelbildern, Augsburg 2008, S. 221. Vgl. hierzu zudem die Analyse und die zahlreichen Bildbeispiele bei M. Scholz-Hänsel: Das exotische Plakat, Stuttgart 1987.

23 M. Bechhaus-Gerst: Köln und die Kolonien, in: U. v.d. Heyden/J. Zeller (Hg.): Kolonialismus hierzulande. Eine Spurensuche in Deutschland, Erfurt 2007, S. 11-18, hier: 12f.

24 Exportverein im Königreich Sachsen (Hg.): Festschrift anlässlich des 25jährigen Jubiläums des Exportverein im Königreich Sachsen, 1885-1910, Dresden 1910, S. 44; C. Greiert: Festschrift zum 50jährigen Bestehen des Verbandes, S. 160.

25 Exportverein im Königreich Sachsen: Festschrift anlässlich des 25jährigen Jubiläums, S. 59; V. Tornius: Das Buch über die Schokolade. Eine kulturgeschichtliche Plauderei, Leipzig 1931, S. 70f.

26 Das Bild findet sich abgedruckt und kritisch eingeordnet in H. Starke: Vom Lever zum Schokoriegel, S. 53.

27 Vgl. hierzu den Text und vor allem die Bildbeispiele bei M. Scholz-Hänsel: Das exotische Plakat, S. 14, 17, 63, 65f., 68, 88; K. R. Scherpe: Reklame für Salem Aleikum, S. 384f., 387f.

28 Vgl. hierzu die zahlreichen Dresdner Beispiele in J. Zeller: Koloniale Bilderwelten, S. 12, 20, 29, 42f., 76f., 93, 95, 102, 112, 146, 154, 160f., 168, 182f., 208, 213-215, 222.

29 Vgl. für die drei Genannten exemplarisch ebd., S. 20, 168.

30 Vgl. hierzu die weiteren Beispiele und Erläuterungen in ebd., S. 72f., 194-201.

31 In Birgit Böhmes unlängst veröffentlichtem Artikel zu Dresden werden sie leider vollkommen unkommentiert abgedruckt; an anderer Stelle werden sie, etwa von Holger Starke, kritisch kontextualisiert. Vgl. B. Böhme: Von der Kakaobohne zur Schokolade, S. 14f.; H. Starke: Vom Lever zum Schokoriegel, S. 53f.

32 J. Zeller: Koloniale Bilderwelten, S. 168.

33 Ebd., S. 182f. Vgl. zum Afrikaner zwischen ‚Dienerfigur‘ und „Schreckbild des Wilden und Barbaren“, zwischen „Fremdheit und Kindlichkeit“, K. R. Scherpe: Reklame für Salem Aleikum, S. 384f.

34 Ebd.,188-191.

35 Ebd., S. 222.

36 C. Linne: „Weiße Arbeitsführer“ – Der nationalsozialistische Traum vom sozialen Aufstieg in Afrika, in: Sozial.Geschichte. Zeitschrift für historische Analyse des 20. und 21. Jahrhunderts 19 (2004), Heft 3, S. 6-27, hier: S. 6

37 Vgl. hierzu S. Steinberg: Das Erbe der Enterbten. Rudolf Böhmer (1875-1944) und das Verhältnis der kolonialen Eliten zur nationalsozialistischen Raumideologie, in: M. Meißner/K. Nebelin/M. Nebelin (Hg.): Eliten nach dem Machtverlust? Fallstudien zur Transformation von Eliten in Krisenzeiten, Berlin: Wissenschaftlicher Verlag Berlin, S. 199-231.

38 Vgl. als Dresdner Beispiel in diesem Zusammenhang das Album „Deutsche Kolonien“ des Cigaretten-Bilderdienstes Dresden aus dem Jahr 1936 bei J. Zeller: Koloniale Bilderwelten, S. 238.

39 U. Hessel: Süße Sachen Bunte Bilder. Verpackungen und Werbung für Süßwaren und Schokolade, in: J. Feldkamp/A. Dresler (Hg.): Das Süße Herz Deutschlands. Sachsens Schokoladenseite. Begleitband zur Sonderausstellung im Industriemuseum Chemnitz, Chemnitz 2011, S. 91-103, hier: S. 99.

40 Vgl. hierzu Ders.: VEB Dresdner Süßwarenfabriken „Elbflorenz“, einsehbar unter http://www.wimad-ev.homepage.t-online.de/Elbflorenz.pdf [eingesehen am 09.12.2013].

41 Vgl. hierzu S. Steinberg: Süßer Exotismus in Leipzig? Schokolade kolonial und postkolonial – zwischen Kaiserreich und DDR, in: „Völkerkunde, Asyldebatte und Sambaabende“ – Leipzig und Deutschland in der „Welt nach dem Kolonialismus“, Leipzig 2014, im Erscheinen.

42 S. Conrad: Deutsche Kolonialgeschichte, München 2008, S. 121.

43 Wenngleich diese, im fair-trade-Shop Contigo am Hauptbahnhof zu erwerbende Schokolade in ihrer Gestaltung und inhaltlichen Bezogenheiten auf den sogenannten Dresdner Barock sowie die „Romanze“ um August den Starken und die Gräfin Cosel („Kurfürst & Gräfin“) auch an ältere, lokal orientierte Muster der Dresdner Schokoladenwerbung anschließt. Vgl. zum hier verwendeten Dresden-Bild vor allem K.-S. Rehberg: Dresden als Raum des Imaginären. „Eigengeschichte“ und Mythenbildung als Quelle städtischer Identitätskonstruktion, in: Dresdner Hefte 84 (2005), H. 4, S. 88-99, hier: S. 89-94.

44 Vgl. Abb. 4.

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