Dresdens Zigarettenindustrie
„Ein Gruß aus dem Orient! Dem Fremden, der über die Elbbrücke fährt, bietet sich rechter Hand ein seltenes Bild. Die Türme und Minaretts einer türkischen Moschee grüßen ihn. Es ist das Gebäude der Zigarettenfabrik Yenidze. Da entsinnt sich der Reisende, daß er in die Stadt kommt, die man als die Zigarettenstadt Deutschlands bezeichnet.“1 [Abb. 1] Mit diesen Worten leitete der ‚Multifunktionär‘ der deutschen Zigarettenindustrie, Adolf Flügler,2 im Jahr 1930 seine Vorstellung des Dresdner Industriezweiges ein und benannte damit bereits die zwei Schwerpunkte dieses Artikels: Zum einen die Entwicklung der Dresdner Tabakindustrie im 19. und 20. Jahrhundert, die hier ähnlich der Schokoladenindustrie ein reichsweites Zentrum entwickelte: So hatte der Verband der Deutschen Zigarettenindustrie seinen Sitz in Dresden, dessen Zeitschrift „Die Tabakwelt“ erschien zwischen 1906 und 1929 ebenfalls hier.3 Zum anderen geht es um Darstellung und Bewerbung der Dresdner Tabakprodukte, die durch den sogenannten Orientalismus und dessen Verhältnisbestimmungen zwischen den Menschen in Europa und jenen in Asien geprägt waren. Das damit verbundene und aus dem 17. Jahrhundert stammende europäische und deutsche Interesse für „den Orient“ erlebte im 18. Jahrhundert einen neuen Höhepunkt (Reiseberichte, frühe Volkskunde) und beschrieb vor allem „das machtpolitische Verhältnis zwischen Orient und Okzident“ – aus „dem eurozentrischen Weltbild heraus entsteht eine Konstruktion, die als Grundlage für die Identität der westlichen Welt dient.“ Gleich den Bildern der Fremdheit, die den afrikanischen Kulturen entgegengebracht wurden, war das dabei gezeichnete Bild aber keineswegs einheitlich. Vielmehr war der Orientalismus von einer Bandbreite von Zuschreibungen und Verkürzungen geprägt, die schon im oben genannten Zitat deutlich werden – eine Moschee ist nicht zwangsläufig türkisch und nicht alle Bewohner_innen der Türkei waren und sind Anhänger_innen des Islam. Kurzum: Der Blick auf den Orient erfüllt als bewusste Konstruktion spezifische Funktionen, er wird „als Projektionsfläche benutzt, um europäische Bedürfnisse und Fantasien in ein je nach Bedarf nützliches, verspieltes, gefährliches oder prächtiges Gewand zu kleiden.“ Solche Ausdrucksformen finden wir auch in der Dresdner Tabakindustrie, die Yenidze trägt als Fabrik gewissermaßen ein solches Gewand: „Nicht der authentische Nachbau einer Moschee stand im Zentrum des Interesses, sondern die architektonische Realisierung westlicher Vorstellungsbilder.“4
„Orient“ im „Okzident“
Der Konsum von Tabak ist dem anderer ‚kolonialer‘ Produkte wie Tee, Kakao oder Kaffee vergleichbar, auch er setzte nicht erst mit dem imperialen bzw. aggressiven Kolonialismus des 19. Jahrhunderts ein: Jenseits des Hofes existierte eine stadtbürgerliche Käufer_innenschichte, die die Einfuhr von Tabak nach Dresden im 18. Jahrhundert immer mehr steigen ließ. Dabei spielten – anders als bei Schokolade oder Tee – quantitativ auch die in Sachsen angebauten Tabake eine Rolle,5 wenngleich die Herkunft „eine zentrale Leitdifferenz“ blieb und „als Unterscheidungskriterium zur Einordnung des Tabaks“ herangezogen wurde;6 hier deutete sich gewissermaßen die ökonomische Nutzung eines positiven Orientbildes durch die Dresdner Zigarettenindustrie im späten 19. Jahrhundert bereits an.
Jenseits der Präsenz kolonialer Produkte ist in Dresden ebenso schon im 17. Jahrhundert die europäische Begeisterung für ‚den Orient‘ erkennbar, die sich in ‚Modeerscheinungen‘, Architektur und Sammlungen niederschlug: Die sogenannte Türkenmode oder „Turkomanie“, die der Dresdner Hof pflegte, ist hier ebenso zu nennen, wie unter den Orient-Begriff subsummierte, asiatisch anmutende Gebäude, so das Japanische Palais oder das Schloss Pillnitz. Und schließlich finden wir mit der „Türkischen Kammer“ und dem Grünen Gewölbe – etwa Melchior Dinglingers „Der Thron des Großmoguls Aureng-Zeb“ (1701-1708) – auch in den Dresdner Kunstsammlungen zahlreiche Beispiele aus der Zeit vor 1800.7
Zwar blieben derartige Rezeptionen bzw. Idealisierungen im 19. Jahrhundert erhalten und gewissermaßen auch ‚Mode‘, das 1855 erbaute „Türkische Bad“ auf Schloss Albrechtsberg ist hierfür ein Beispiel.8 Verstärkt rückten aber ökonomische Muster in den Vordergrund, die ‚den Orient‘ vor allem in Nordafrika und im Nahen Osten verorteten und die durch den Kolonialismus, den gesteigerten Wirtschaftsaustausch mit dem Osmanischen Reich und nicht zuletzt das Breitenphänomen Tourismus bedingt wurden.9
Den Beginn der industriellen Zigarettenproduktion in Dresden markierte dabei das Jahr 1862, als hier eine Niederlassung der Companie Laferme gegründet wurde. Bezogen wurde der Tabak auf dem Schienenweg, der zwar im Vergleich zum Transport auf Schiffen kostenintensiver war. Allerdings gewährleistete er aufgrund der kürzeren Transportzeit eine längere Frische des Rohstoffs, die Lagerung war im „Klima des Elbtales“ ohnehin äußerst günstig.10 In Dresden entwickelte sich deswegen nicht nur die industrielle Zigarettenherstellung, sondern – gleich der Kakaoverarbeitung – auch ein entsprechender Maschinenbau, der sich mit der Optimierung der Herstellung der ‚Rauchware‘ und mehr noch ihrer Verpackungen befasste.11 Letzteres verweist bereits auf die Entstehung von Markenartikeln,12 die im späten 19. Jahrhundert einsetzte und die sich gesteigert in der Darstellung von Tabakprodukten finden lässt: Wenn auch nicht auf diesen beschränkt – insbesondere nationale Motive (Soldaten, Herrscher, Kriegsgerät) und regionale Bezüge erfreuten sich vor und während des Ersten Weltkrieges gesteigerter Beliebtheit13[Abb. 2] –, so finden wir in den Namen der Zigaretten, die in Dresden hergestellt wurden, wie auch auf den Verpackungen Motive, die die orientalische „Fantasiewelt“ mit „Luxus, Exklusivität und einem genussvollen Leben“ verbanden:14 Marken wie „Club“, „Polo Club“ oder „Juwel“ trugen diese Exklusivität im Namen. Zudem bediente sich die „Werbeindustrie um 1900 […] besonders des Fremden und Exotischen als Blickfang“, um die „Kauflust der Konsumenten zu steigern“ – das „Exotische“ war „als Stereotyp in nahezu jedem Kontext einsetzbar“.15 Zeitgenossen bemängelten diese Entwicklung durchaus: Zigarettenmarken mussten „einen möglichst fremdländischen Klang“ haben, „da nun leider einmal bei unserem Volke eine Voreingenommenheit für alles Ausländische besteht.“ Aus diesem Grund habe nur etwa 1/5 der deutschen Zigaretten deutsche Namen, alle anderen „wiesen fremdländische und zwar türkische, griechische und in großer Zahl auch englische und französische Namen auf.“16
„Mohamed“ in Dresden
Hinsichtlich der „orientalischen“ Namen zeigte sich dies vor dem Ersten Weltkrieg auf den aufwändig gestalteten und gedruckten Verpackungen etwa der Dresdner Marken „Mohamed“ – in Zeiten heutiger Islamophobie undenkbar! –, „Salem Aleikum“, „Mokri“, „Flotte Türken“ oder „Salem“, die im Falle von Yenidze mit der Silhouette der orientalisierten Fabrik17 oder aber mit anderen Bildern des kolonialen Verhältnisses warben: Mit ‚träumerisch‘ wirkenden ‚Orientalen‘ oder mit solchen, die den bürgerlichen, in der Regel männlichen Konsumenten in einer Kaffeehausszene bedienen. Hinzu kommen Darstellungen, die mit dem ‚vorgestellten‘ Alltagsleben verbunden wurden, etwa Marktszenen oder ‚orientalische‘ Stadtansichten mit entsprechenden Ornamenten [Abb. 3]. Und schließlich fehlten auch die ‚orientalischen‘ Frauen nicht auf den Zigarettenschachteln und -werbungen, die mit Sexualisierung, Erotik und Voyeurismus spielten.18 Insbesondere in solchen Darstellungen bedeutete „Exotik und Rasse konsumieren“ nicht lediglich, „den Anderen […] nur ausbeuten, sondern ihn auch noch genießen. Exotik und Kolonialprodukte zu konsumieren hieß für den weißen Verbraucher, die Unterwerfung der Kolonialvölker zu internalisieren.“19
Neben den Produktnamen finden wir den Orientalismus in Dresden aber auch in den Namen der Firmen selbst: Die 1871 gegründete Cigarettenfabrik F.L. Wolff GmbH trug den Namen „Sulima“, die Orientalisch-Macedonische Cigarettenfabrik Dresden operierte in der Werbung mit der Abkürzung ihres Firmennamens („Orami“) und die Firma Krieger & Co. gab ihrer Fabrik einen entsprechenden Namen, sie firmierte als „Zigaretten-Fabrik Osmanié“ [Abb. 4]. Neben solchen Fantasienamen finden wir in Dresden zudem Firmennamen, die konkrete orientalische Assoziationen wecken sollten, etwa „Aladin“, „Akropolis“, „Alexandria“ oder „Pharao“, sowie solche, die einen Bezug zur Herkunft ihrer Rohstoffe in sich trugen – beispielsweise „Bulgaria“, „Patras“ oder „Macedonia“;20 1930 stammten die Rohtabake vor allem aus Bulgarien, der Türkei und Griechenland.21 Die Anbindung an die Herkunftsländer war dabei auch mit Migrationsprozessen verbunden, die Geschichte der Zigarettenherstellung ist gleichzeitig Teil der Zuwanderungsgeschichte Dresdens: Infolge der Industrialisierung erlebte Dresden ab den 1860er Jahren die Migration einer hauptsächlich aus Sachsen und dem grenznahen Böhmen stammenden Arbeiter_innenbevölkerung. Zu dieser Gruppe der Zuwandernden gehörten aber auch „Aufsteiger“ aus anderen Regionen – etwa der aus Griechenland stammende Georg Anton Jasmatzi (geboren als Georgios Antoniou Iasmatzis), der zu den Begründern der Dresdner Zigarettenindustrie und der gleichnamigen Firma zählte. Zudem war die Tabakherstellung noch in den 1930er Jahren auf Fachwissen angewiesen, das in Mitteleuropa nicht zu rekrutieren war: „Es ist deshalb kein Zufall, daß alle größeren deutschen Zigarettenfabriken Spezialisten aus den berühmten Tabakanbaugebieten, besonders Griechenland und Bulgarien, auf den wichtigen Posten des Tabakmischers gestellt haben.“22
Die oben angeführte Vielfalt an Firmen und Produkten verweist auf die Dichte der Industrie in Dresden, zwischen 1877 und 1913 wurden in Dresden etwa 50% der im Deutschen Reich hergestellten Zigaretten gefertigt.23 Nach 1918 sank dies zwar auf etwa ¼ der Gesamtproduktion – der oben angedeuteten Vielfalt der Firmen und auch der Produkte tat dies in der „Hauptproduktionsstadt“ aber keinen Abbruch, ihre Zahl stieg von 75 Betrieben 1918 auf 107 Betriebe 1924.24 Bis 1933 fand dann ein Konzentrationsprozess statt, der die Zahl der Firmen in Dresden verringerte, bis 1944 sank sie auf 34; um 1930 kamen dennoch etwa 1/3 der im Deutschen Reich produzierten Zigaretten von hier.25 Nicht zuletzt deswegen wurde Dresden bereits vor dem Ersten Weltkrieg mit der Produktion von Zigaretten identifiziert, wozu die Hersteller mit ihrer breiten öffentlichen Präsenz beitrugen: Neben der Werbung in Zeitungen oder an Geschäften26 waren sie auch auf Messen und Ausstellungen präsent27 – so beispielsweise auf der Internationalen Hygieneausstellung 1911 in Dresden die Dresdner Firma Jasmatzi mit einem ‚orientalischen‘ Pavillon [Abb. 5].28
Koloniales Sammeln
Die orientalischen Bezüge hielten sich in der Produktbewerbung durch die gesamte Weimarer Republik hindurch und dominierten die Darstellung und die Produktnamen der Dresdner Zigarettenhersteller auch in der Zeit des Nationalsozialismus. Wobei gerade jene neue Ideologie auch für neue Werbestrategien stand, war doch mit der Firma Cigarettenfabrik Dressler KG seit 1929 in Dresden auch ein SA-nahes Unternehmen angesiedelt, das mit Marken wie „Sturm“, „Trommler“ oder „Neue Front“ bewusst eine politische Botschaft verband [Abb. 6].29 Hinzu kamen die Veränderungen in der Branche nach 1933, die einerseits durch Enteignung jüdischer Unternehmen und andererseits durch ‚Übernahmen‘ neue Produkte und Marken etablierten. Wie stark allerdings der koloniale Zusammenhang auch von den Dresdner Herstellern noch in den 1930er Jahren gesehen wurde, zeigen die in Dresden erschienen Zigarettenbilderalben, die ohnehin Teil des modernen Marketings geworden waren und eine erhebliche Verbreitung aufwiesen. Zwar erschienen diese Alben in einer hohen thematischen Breite: 1931 etwa gab die Zigarettenfabrik Greiling in Dresden das Fußballalbum „Deutsche Liga“ heraus, die Zigarettenfabriken Aurelia und Müller & Co. folgten dem Thema 1937 mit dem Album „Hinein“. Ab 1933 finden sich dann aber gesteigert politische bzw. ideologische Themen, etwa die Alben „Deutschlands Stolz – Uniformen der Vorkriegsarmee“ oder „Das neue Deutschland im Bild“ der Confreia Zigarettenfabrik Dresden, beide aus dem Jahr 1933. Zudem erschienen ‚thematisch unverfängliche‘ Alben wie die „Pilze unserer Heimat“ der Zigarettenfabrik Hünig aus dem Jahr 1938.
Gleichzeitig warben die Dresden Zigarettenhersteller über die Alben aber auch mit kolonialen Themen für sich: 1931 etwa konnten Bilder für das „Völkerschau-Album“ der Confreia Zigarettenfabrik Dresden gesammelt werden, im Jahr darauf brachte die Eckstein-Halpaus GmbH Dresden das Album „Die Völkerschau in Bildern“ heraus. Beide Alben thematisierten die auch in Dresden im 19. und 20. Jahrhundert praktizierte Form, Menschen von anderen Kontinenten und aus anderen Kulturen regelrecht auszustellen. 1934 folgte der Zigarettenhersteller Bergmann mit dem nicht minder kolonial durchsetzten Thema „Variete und Zirkus“, 1935 gab die Basma Cigarettenfabrik Dresden dem folgend das Album „Mit Karl May um die Erde“ heraus und 1936 kam das Album „Deutsche Kolonien“ des Cigaretten-Bilderdienstes Dresden auf den Markt. Hinzu kamen außen- bzw. weltpolitische Themen, im Falle des Sammelalbums „Abessinien“ der Dresden Zigarettenfabrik Orami von 1935 wurden die aggressiven Eroberungen des faschistischen Italiens propagiert.30
Koloniale Themen und orientalisierende Darstellungen blieben demnach auch in Dresden in der Zeit der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus Bestandteil von ‚Sehnsucht‘ und ideologisch definierten Fremdheitswahrnehmungen – die Kolonien waren, gleich der ‚hochkolonialen Phase‘ des Deutschen Kaiserreiches, noch in der Weimarer Republik „Projektionsflächen von Wünschen und Hoffnungen vieler Deutscher“,31 die dazu beitrugen, dass koloniale Vorstellungen vom „Volk ohne Raum“ anschlussfähig wurden an die nationalsozialistische Lebensraumideologie.32 Spätestens mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges stellte sich dann aber ein „endgültiger Verlust der Lust am Exotischen“ ein, auch die Dresdner Zigarettenwerbung bediente sich zunehmend nur noch nationaler Motive oder verwendete gar keine Abbildungen mehr.33
Was vom blauen Dunst bleibt
Die Herstellung von Zigaretten wurde gleich dem Ersten Weltkrieg auch nach 1939 als „kriegswichtig“ eingestuft und nicht eingestellt: Die Zahl von etwa 10.000 Beschäftigten blieb zwischen 1915 und 1918 weitgehend konstant,34 im Zweiten Weltkrieg wurde die Dresdner Produktion vor allem durch Zwangsarbeiter_innen aus ganz Europa aufrechterhalten. Im Februar 1945 kehrte der von Deutschland begonnene Krieg auch an die Elbe zurück, zahlreiche Herstellungsorte der Zigarettenindustrie fielen der Bombardierung zum Opfer oder wurden nach 1945 demontiert. Dennoch, gleich der Schokoladenherstellung wurden einzelne Standorte wiederaufgebaut und arbeiteten als Volkseigene Betriebe (VEB) zuerst vereinzelt, zunehmend erfolgte aber gleich anderen Branchen die Konzentration im VEB Vereinigte Dresdner Zigarettenfabriken, dem späteren VEB Kombinat Tabak Dresden.35 Und vermutlich war es die Tradition an den Standorten, die auch in der Zigarettenherstellung an die Vorkriegstraditionen anknüpfen lies: So bestanden Betriebe unter den alten, orientalisierenden Namen weiter (VEB Jasmatzi, VEB Macedonia),36 auch gingen DDR-Marken wie „Club“ oder „Juwel“ auf den Anspruch der Zigarette als „Luxusware“ und auf Dresdner Marken aus den 1920er Jahren zurück. Und mehr noch, auch die orientalisierenden Zigarettenmarken und Darstellungen wurden zumindest bis in die 1960er Jahre weiter verwendet, in Dresden wurden beispielsweise Zigaretten der Marke „Salem“ hergestellt, zudem spielten Marken wie „Muck“, „Orient“, „Safari“ oder „Inka“ mit denselben ‚Bildern‘ der Fremdheit und des Exotismus [Abb. 7].37 In der DDR vollzog sich damit ein ähnlicher Prozess wie in der BRD, wo ebenfalls nach 1945 die exotischen Motive in die Zigarettenwerbung zurückkehrten. Wenngleich diese dort aufgrund der ‚neuen politischen Orientierung‘ und der Bezugswege stärker auf Nordamerika fokussiert war, was sich in Werbeikonen wie dem „Marlboro-Mann“ nachvollziehen lässt – hier wurde stärker an die Rezeption des ‚Wilden Westens‘ angeknüpft, die schon vor 1914 in Zirkus und Völkerschau präsent war.38
Insofern lässt sich auch bei der Herstellung der Dresdner Tabakprodukte eine vergleichsweise lange Tradition orientalisierender Bilder feststellen, die bisweilen bis in die Gegenwart wirkt – die Yenidze Tabak- und Zigarettenfabrik GmbH Hamburg stellte bis heute die Marke „Salem No. 6“ her. Überdies ist der Orientalismus noch überaus deutlich in Dresden präsent, Gebäude und Sammlungen sind nach wie vor erhalten – und zumeist viel zu wenig ob ihrer Formen- und Bildersprache kontextualisiert. In der ehemaligen Zigarettenfabrik Yenidze wurde dabei am stärksten an die ‚Erfindungen‘ und ‚Einbildungen‘ des Orientalismus angeknüpft, in der „Märchenkuppel“ organisiert die seit 1997 bestehende „1001 Märchen GmbH“ Lesungen und Musik. Und deren Selbstverständnis liest sich wie eine alte Beschreibung orientalisierender Produkte: Die Firma Yenidze warb 1926 für sich und ihre Fabrik an der Elbe als „bezaubernd auf den Besucher wie ein Märchen aus Tausend und einer Nacht.“39 Und auf der Homepage der „1001 Märchen GmbH“ lesen wir noch heute: „Unser Repertoire beinhaltet Märchen und Geschichten aus allen Teilen der Welt. Besonders gern, weil es zum arabischen Stil der Kuppel passt, natürlich orientalische Geschichten, die durch den Einsatz einer Bauchtänzerin immer eine besondere Ästhetik und Exotik erfahren. Auch bei Märchen und Geschichten aus anderen Ländern kommen entweder Tänze, Klänge oder Musik zum Einsatz, die dann den Inhalt unterstreichen, bzw. zur weiteren Verzauberung unserer Gäste beitragen.“40 Erotik, Exotik und ‚Verzauberung‘ sind demnach bis heute Teil der ‚orientalischen‘ Verklärung in Dresden – wohlwissend, dass ‚das Orientalische‘ im Sinne einer europäischen und auch deutschen Konstruktion der Wertigkeit von Menschen ‚mitgedacht‘ wird.41
Swen Steinberg
1 A. Flügler: Die Dresdner Zigaretten-Industrie, in: Rat der Stadt Dresden (Hg.): Das Buch der Stadt Dresden, Dresden 1930, S. 108-113, hier: S. 108.
2 Flügler war nach dem Ersten Weltkrieg Geschäftsführer des Verbandes der Zigaretten-Industrie, des Reichsarbeitgeberverbandes der Zigaretten-Industrie e.V. und des Schutzverbandes des Zigarettengewerbes e.V.; seit 1922 leitete er auch die Außenhandelsstelle der Zigarettenindutrie und die Zigaretten-Tabak-Einkaufsgesellschaft. 1929 wurde er zum polnischen Konsul ernannt und war publizistisch tätig, auch stand der sächsische Landesverband der Zentrumspartei unter seiner Leitung. Vgl. hierzu H. Radandt: Zum Umgang mit wirtschaftshistorischen Fakten in der Memoiren-Literatur, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte (1986), Heft 1 S. 227-233, hier: S. 233; Deutsche biografische Enzyklopädie, Band 3, München 2006, S. 399
3 Die Tabakwelt. Zeitschrift für das deutsche Tabakgewerbe. Organ für die Veröffentlichung des Verbandes der Deutschen Zigaretten-Industrie.
4 Vgl. hierzu und für die Zitate L. Bilgic/M. Fabian/C. Schwetasch/R. Stock: Dresdner Orientalismus, in: R. Lindner/J. Moser (Hg.): Dresden. Ethnografische Erkundungen einer Residenz (Schriften zur Sächsischen Geschichte und Volkskunde 16), Leipzig 2006, S. 207-236, hier: S. 207-209, 221. Vgl. zudem die zahlreichen Beispiele für das 19. Jahrhundert bei S. Koppelkamm: Exotische Architekturen im 18. und 19. Jahrhundert, Stuttgart 1987, sowie speziell zur Yenidze ebd., S. 170-173.
5 Vgl. C. Hochmuth: Globale Güter – lokale Aneignung. Kaffee, Tee, Schokolade und Tabak im frühneuzeitlichen Dresden (Konflikte und Kultur – Historische Perspektiven 17), Konstanz 2008, S. 85-89, 189-194.
6 Ebd., S. 194.
7 Vgl. hierzu L. Bilgic/M. Fabian/C. Schwetasch/R. Stock: Dresdner Orientalismus, S. 209-220.
8 Vgl. S. Koppelkamm: Exotische Architekturen, S. 91f.
9 Vgl. hierzu L. Bilgic/M. Fabian/C. Schwetasch/R. Stock: Dresdner Orientalismus, S. 220.
10 Vgl. hierzu I. Vettel: Die Entwicklung der Dresdner Zigarettenindustrie bis 1933, in: Dresden Hefte 18 (2000), Heft 61, S. 72-77, hier: S. 72f.; L. Bilgic/M. Fabian/C. Schwetasch/R. Stock: Dresdner Orientalismus, S. 223.
11 Vgl. I. Vettel: Die Entwicklung der Dresdner Zigarettenindustrie, S. 73-75.
12 Vgl. zur Entstehung der Reklame K. R. Scherpe: Reklame für Salem Aleikum, in: A. Honold/Ders. (Hg.): Mit Deutschland um die Welt. Eine Kulturgeschichte des Fremden in der Kolonialzeit, Stuttgart/Weimar 2004, S.381-388, hier: S. 381-384.
13 Vgl. M. Scholz-Hänsel: Das exotische Plakat, Stuttgart 1987, S. 13.
14 L. Bilgic/M. Fabian/C. Schwetasch/R. Stock: Dresdner Orientalismus, S. 220. Vgl. hierzu auch A. Flügler: Die Dresdner Zigaretten-Industrie, S. 111.
15 J. Zeller: Koloniale Bilderwelten zwischen Klischee und Faszination. Kolonialgeschichte auf frühen Reklamesammelbildern, Augsburg 2008, S. 221. Vgl. hierzu auch die Dresdner Beispiele bei I. Vettel: Die Entwicklung der Dresdner Zigarettenindustrie, S. 75, sowie die Beispiele bei K. Bormann: Die deutsche Zigarettenindustrie, Tübingen 1910, S. 37f.
16 Ebd., S. 37.
17 Vgl. zur ‚orientalisierten‘ Architektur als Element der Reklame S. Koppelkamm: Exotische Architekturen, S. 166-173.
18 Vgl. hierzu die Abbildungen in L. Bilgic/M. Fabian/C. Schwetasch/R. Stock: Dresdner Orientalismus, S. 224, 227f., 230-232.
19 J. Zeller: Koloniale Bilderwelten, S. 221.
20 Vgl. hierzu die umfangreiche Sammlung unter http://mein-kleiner-rauchsalon.de/tbind_sa.htm [eingesehen am 09.12.2013], sowie die Beispiele bei I. Vettel: Die Entwicklung der Dresdner Zigarettenindustrie, S. 75.
21 Vgl. A. Flügler: Die Dresdner Zigaretten-Industrie, S. 108; K. Bormann: Die deutsche Zigarettenindustrie, S. 24-31.
22 H. Faber: Die Zigarettenfabrik W. Lande G.m.b.H. Dresden, Leipzig 1937, S. 39.
23 Vgl. hierzu K. Bormann: Die deutsche Zigarettenindustrie, S. 19-21.
24 A. Flügler: Die Dresdner Zigaretten-Industrie, S. 111f.
25 Vgl. I. Vettel: Die Entwicklung der Dresdner Zigarettenindustrie, S. 77; Die Tabakindustrie, in: Zur technisch industriellen Entwicklung Dresdens, Dresden 1956, S. 29-31, hier: S. 30.
26 Vgl. K. R. Scherpe: Reklame für Salem Aleikum, S. 381.
27 Vgl. für die Weltausstellungen S. Koppelkamm: Exotische Architekturen, S. 138-153, sowie für den Exotismus als Element von Ausstellungen M. Scholz-Hänsel: Das Exotische Plakat, S. 15f.
28 Rat der Stadt Dresden (Hg.): Das Buch der Stadt Dresden 1926, Dresden 1926, S. 315.
29 Vgl. hierzu T. Grosche: Arthur Dressler. Die Firma Sturm – Zigaretten für die SA, in: C. Pieper/M. Schmeitzner/G. Naser (Hg.): Braune Karrieren. Dresdner Täter und Akteure im Nationalsozialismus, Dresden 2012, S. 193-201.
30 Vgl. zu den Sammelbilderalben, ihren Themen und ihrer Verbreitung vor allem J. Zeller Koloniale Bilderwelten, S. 9-23.
31 C. Linne: „Weiße Arbeitsführer“ – Der nationalsozialistische Traum vom sozialen Aufstieg in Afrika, in: Sozial.Geschichte. Zeitschrift für historische Analyse des 20. und 21. Jahrhunderts 19 (2004), Heft 3, S. 6-27, hier: S. 6
32 Vgl. hierzu S. Steinberg: Das Erbe der Enterbten. Rudolf Böhmer (1875-1944) und das Verhältnis der kolonialen Eliten zur nationalsozialistischen Raumideologie, in: M. Meißner/K. Nebelin/M. Nebelin (Hg.): Eliten nach dem Machtverlust? Fallstudien zur Transformation von Eliten in Krisenzeiten, Berlin: Wissenschaftlicher Verlag Berlin, S. 199-231.
33 M. Scholz-Hänsel: Das exotische Plakat, S. 13.
34 Vgl. A. Flügler: Die Dresdner Zigaretten-Industrie, S. 112, sowie die detaillierte Darstellung bei I. Vettel: Die Entwicklung der Dresdner Zigarettenindustrie, S. 76.
35 Vgl. hierzu die zeitgenössische Darstellung in Die Tabakindustrie, S. 29-46.
36 Die Tabakindustrie, S. 30.
37 Vgl. hierzu ebd., S. 34.
38 Vgl. M. Scholz-Hänsel: Das exotische Plakat, S. 13.
39 Rat der Stadt Dresden (Hg.): Das Buch der Stadt Dresden 1926, Dresden 1926, S. 315.
40 http://www.1001maerchen.de/ueber.php [eingesehen am 09.12.2013].
41 Vgl. hierzu L. Bilgic/M. Fabian/C. Schwetasch/R. Stock: Dresdner Orientalismus, S. 234-236.