Ein spannendes Interview im Standard mit der Politikwissenschaftlerin über die Verknüpfung von Rassismus und Sexismus nach den Ereignissen in der Silvesternacht von Köln, deren kolonialen Spuren, Kulturrassismus und die Instrumentalisierung von Frauen für rassistische Zwecke.
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Der „orientalische“ Mann – revisited: So funktioniert Kulturrassismus heute
„Auch wenn also der gesellschaftlich akzeptierte Umgang mit der Droge Alkohol und eine sexistische Populärkultur möglicherweise begünstigende Faktoren dafür sein könnten, dass sowohl auf jeder größeren Massenveranstaltung in Deutschland als auch im Alltag Frauen regelmäßig Opfer sexueller Gewalt werden, wird allein die Kultur „des“ muslimischen Mannes als Hauptursache sexueller Belästigung ausgemacht. „Köln“ wird instrumentalisiert, um den Faktor „nichtdeutscher Herkunft“ zum Gütesiegel von sexualisierter Gewaltfreiheit zu machen. […]„Der muslimische Mann“ wird als Barbar konstruiert, um als Kontrastfolie dabei zu helfen, das Idealbild des weißen Mannes als aufgeklärten, fortschrittlichen und moralisch überlegenen Gentleman zu inszenieren. Die Dämonisierung des muslimischen Mannes als Wilder hat also eine Entlastungsfunktion: Wenn patriarchale Gewalt und Sexismus in erster Linie im Orient verortet und nicht in den europäischen, gesamtgesellschaftlichen Kontext gestellt werden, gelingt es, Diskursüberlegenheit zu konstituieren.“ Hier geht es zum Text.
Kann Rassismus von der Meinungsfreiheit gedeckt sein?
Das Schmähgedicht des Grimmepreisträgers Jan Böhmermann (für seinen „Varoufake“) über Erdogan und die danach folgende Strafanzeige von Erdogan wegen Beleidigung eines Staatsoberhauptes haben große Wellen gezogen und sogar international wurde darüber berichtet. Jan Böhmermann hat es geschafft, zu einem Schwerpunkt-Thema zu werden bei Zeit Online. Die Auswahl dieser Punkte vom 15.04.2016 lässt tief blicken, scheinen die Themen in ihrer Darstellung erst einmal separat voneinander zu sein.
Doch ein tieferer Blick zeigt, dass es auch in Hinblick auf die Einordnung der sogenannten „Causa Böhmermann“ wichtig ist, die Verzahnung mit den Topoi „Islam Heute“ und „Flüchtlinge“ zu begreifen. Die Fragen, die gestellt wurden zur Causa Böhmermann drehen sich vor allem um die Meinungsfreiheit und was zu sagen erlaubt ist und ob dieses Gesetz nicht schon längst überflüssig ist und abgeschafft werden sollte (definitiv!). Es geht darum, ob Merkel sich vor Erdogan „duckt“ und in einigen Texten spielt dann zumindest die Ebene „Flüchtlinge“ schon mit rein. Denn in dieser ganzen Angelegenheit spielt es natürlich eine Rolle, dass das EU-Türkei-Abkommen noch sehr frisch ist und nicht belastet werden darf. Doch dazu vielleicht in einem anderen Text oder der neuesten Ausgabe der ak.
In diesem Text soll es um das gehen, was in den wenigsten Texten zu Böhmermann benannt wird: dass es nicht nur um Meinungsfreiheit geht, sondern auch um menschenverachtende Einstellungen und Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit (wie Heitmeyer es in seinen Studien „Deutsche Zustände“ benennt, um auf die verwobene Struktur dieser aufmerksam zu machen). Weiterlesen
#ausnahmslos
Die Ereignisse von Köln in der Silvesternacht haben einen ‚Aufschrei‘ in Deutschland ausgelöst. Als es den #Aufschrei vor drei Jahren gab, waren die Reaktionen auf das Anprangern von sexualisierter Gewalt oft sehr kritisch, es ging schließlich auch um einen mächtigen, weißen, deutschen Mann. Doch nun, wenn es sich um vermeintlich Nicht-Deutsche Täter handelt, wird sexualisierte Gewalt plötzlich verurteilt. Dies ist an sich sehr positiv und mehr als überfällig, allerdings geht es in der aktuellen Debatte nun vor allem darum, zu zeigen, warum zu viele Geflüchtete in Deutschland und diese nicht integrierbar seien – dies scheint die eigentliche Ursache für den Aufschrei zu sein, dem mit den Ereignissen von Köln Material geliefert wurde. Der Diskurs wird weit rechts geführt, ist rassistisch aufgeladen und journalistische Medienstandards wurden fallengelassen (Artikel in der taz zur Berichterstattung danach). Um die Betroffenen (Schilderung und Kommentar einer von sexualisierter Gewalt Betroffenen zu den aktuellen Vorfällen in der Freien Presse) und das Problem der sexualisierten Gewalt (welche für die Hälfte der Bevölkerung in Deutschland Alltag ist) geht es mal wieder nur in bestimmten Medien und Kreisen (z.B. spannender Kommentar von kleinerdrei, postkoloniale Analyse im fluter). Auch die Linke hat sich lange schwer getan mit einer Reaktion (Artikel in der jungle world dazu). Um diese Leerstelle zu schließen und die Probleme der Ereignisse in Köln und der sich anschließenden Debatte auzuzeigen, gibt es zum Glück #ausnahmslos, ein zweisprachiges Manifest „Gegen sexualisierte Gewalt und Rassismus. Immer. Überall.“ von 22 progressiven Feministinnen, welches unterzeichnet werden kann. Denn: „Sexismus und sexuelle Gewalt gibt es in #ausnahmslos allen Kulturen, es ist kein importiertes Problem, Schluss mit den rassistischen Vorurteilen.“ (Artikel vom Freitag)
Ein Interview mit der Publizistin Kübra Gümüşay:
„In der Flüchtlingsdebatte warnen viele vor jungen, muslimischen Männern: Sie seien aggressiv, sexistisch, gefährlich. Woher kommt dieses Bild? […]und warum hält es sich so hartnäckig? – Es sagt eigentlich mehr über die deutsche Gesellschaft aus als über den Islam oder diese Männer. Nämlich darüber, wie sich die Deutschen selber sehen. Sie zeichnen ein idealisiertes Bild von Deutschland als Gesellschaft, in der es keinen Sexismus gibt. Stattdessen versuchen sie, den Sexismus in der eigenen Gesellschaft auf die neu Dazugekommenen zu projizieren, um damit zu suggerieren, dass das Problem importiert sei. Besonders krude wird es, wenn erzkonservative Politiker, die nichts mit Feminismus am Hut haben, plötzlich Sexismus beklagen, wenn es um Muslime oder Geflüchtete geht. Sie vereinnahmen damit die feministische Debatte für ihre politischen Ziele.“ Kübra Gümüşay erzählt im Interview mit der Süddeutschen Zeitung darüber, was Vorurteile über muslimische Männer eigentlich über die deutsche Gesellschaft (interessanter Artikel zu der Frage: Was ist deutsch?) aussagen. Ihr Blog ‚ein fremdwörterbuch‘ wurde 2011 für den Grimme-Preis nominiert, dort schreibt sie „über Islam, Feminismus, Rassismus und Internet. […] oder über alle Themen zusammen“, die sie auch in ihrem sehr spannenden Vortrag ‚Power of Stories‚ thematisiert. Zum Thema Islam and Feminism könnt ihr auch auf dem gleichnamigen Blog noch weiter nachlesen.