Kann Rassismus von der Meinungsfreiheit gedeckt sein?

Das Schmähgedicht des Grimmepreisträgers Jan Böhmermann (für seinen „Varoufake“) über Erdogan und die danach folgende Strafanzeige von Erdogan wegen Beleidigung eines Staatsoberhauptes haben große Wellen gezogen und sogar international wurde darüber berichtet. Jan Böhmermann hat es geschafft, zu einem Schwerpunkt-Thema zu werden bei Zeit Online. Die Auswahl dieser Punkte vom 15.04.2016 lässt tief blicken, scheinen die Themen in ihrer Darstellung erst einmal separat voneinander zu sein.zeit online1

Doch ein tieferer Blick zeigt, dass es auch in Hinblick auf die Einordnung der sogenannten „Causa Böhmermann“ wichtig ist, die Verzahnung mit den Topoi „Islam Heute“ und „Flüchtlinge“ zu begreifen. Die Fragen, die gestellt wurden zur Causa Böhmermann drehen sich vor allem um die Meinungsfreiheit und was zu sagen erlaubt ist und ob dieses Gesetz nicht schon längst überflüssig ist und abgeschafft werden sollte (definitiv!). Es geht darum, ob Merkel sich vor Erdogan „duckt“ und in einigen Texten spielt dann zumindest die Ebene „Flüchtlinge“ schon mit rein. Denn in dieser ganzen Angelegenheit spielt es natürlich eine Rolle, dass das EU-Türkei-Abkommen noch sehr frisch ist und nicht belastet werden darf. Doch dazu vielleicht in einem anderen Text oder der neuesten Ausgabe der ak.
In diesem Text soll es um das gehen, was in den wenigsten Texten zu Böhmermann benannt wird: dass es nicht nur um Meinungsfreiheit geht, sondern auch um menschenverachtende Einstellungen und Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit (wie Heitmeyer es in seinen Studien „Deutsche Zustände“ benennt, um auf die verwobene Struktur dieser aufmerksam zu machen).Es geht um antimuslimischen Rassismus, Sexismus und Homophobie. Doch dies wird kollektiv entnannt. Darauf hat Dudu Kücükgöl bei einem Vortrag hingewiesen und deutlich gemacht, dass das Schmähgedicht traditionelle antimuslimische Bilder bedient. Gerade die sexuelle Zügellosigkeit „vergeschlechtlichte Bilder, wie das des übersexualisierten muslimischen Mannes“ (Shooman, 2011, S. 71) ist ein altbekanntes Bild, was Said bereits 1978 in „Orientalismus“ analysiert hat und was, auch bei der Berichterstattung über die Übergriffe in der Silvesternacht 2015/16 in Köln eine große Rolle gespielt hat, wie auch in unserem Artikel zu ausnahmslos thematisiert wurde. Vielleicht ist es auch deswegen gerade so leicht, dass dies in der Debatte kaum eine Rolle spielt und nur in einigen wenigen Texten darauf hingewiesen wird. Das Sagbarkeitsfeld für antimuslimischen Rassismus hat sich in den letzten Jahren noch einmal deutlich erweitert. Bereits nach 9/11 haben Medien durch eine Reihe von antimuslimischen Bildern und Artikeln die Debatte angeheiztislam cover und die intensivere Berichterstattung um den sogenannten „Islamischen Staat“ im Sommer 2014 in Deutschland hat diese zu einem neuen Höhepunkt gebracht, sodass (neu-)rechte Bewegungen wie PEGIDA und die AfD die bereits konstruierten Bilder gut aufgreifen und für ihre Hetze instrumentalisieren konnten. Die in und von Europa als wichtig erachteten Attentate von Paris und Brüssel, (der ihnen innewohnende Eurozentrismus wird in diesem Text von uns behandelt) haben die Debatte weiter angefacht und auch die konservative Politik hat mit eigenen rechten Aussagen im Zuge der sogenannten „Flüchtlingskrise“ zu einem Schüren von Ängsten beigetragen. Alles in allem resultiert dies nun in einer so starken Diskursverschiebung, dass antimuslimischer Rassismus salonfähig ist. Das geht so weit, dass das Schmähgedicht Böhmermanns für einige sogar in Schulbücher gehört, und zumindest der Inhalt selbst nicht als das Geschmacklose daran empfunden wird. Aber „die Inhalte des rassistischen Wissens“, auf das Böhmermann ja aufbaute bei seiner Wortwahl, dürfen „keinesfalls vernachlässigt werden.“ (Terkessidis, 1998, S.83) Denn es geht nicht um die Beleidigung an sich, Böhmermann hätte sehr viele Formen finden können, um zu zeigen, was Meinungsfreiheit in Deutschland bedeutet (den unter dem Aspekt hat er damit schon einiges verdeutlichen können), aber es musste der Rückgriff auf alte koloniale Bilder sein, die im öffentlichen Diskurs momentan eh schon immer und immer wieder reproduziert werden. Und dies ist die Gefahr und das Grenzüberschreitende daran. Eine Entschuldigung Böhmermanns für die rassistischen und sexistischen Aussagen des Gedichts habe ich nirgendwo gelesen. Auch in seinen eigenen Äußerungen geht es nur um die somit auch instrumentalisierte Pressefreiheit, Böhermann schrieb auf Facebook: „Ich denke, wir haben heute am 1. April 2016 gemeinsam mit dem ZDF eindrucksvoll gezeigt, wo die Grenzen der Satire bei uns in Deutschland sind. Endlich!“ (Artikel der Zeit).

In einem Kommentar im Freitag wird eine wichtige Frage dann aber doch noch gestellt: „Wo bleibt aber die Lesart des Schmähgedichts, wonach es überhaupt nicht um Türken oder ihren Ministerpräsidenten geht, sondern um den altklugen, selbstgerechten, auch rassistischen Abgrund der deutschen Populärkultur, wonach es um Salon-Rassismus der Deutschen geht, um ihre obsessive Rechthaberei in allen Dingen?“ Dass es um Rassismus und modernen Eurozentrismus geht, um die Überlegenheit des eigenen so rechtsstaatlichen Landes, das gerne Kritik nach außen richtet, um auch von inneren Problemen abzulenken, wie z.B. von neuen rechten Terrorzellen wie in Freital. Genau hier kann wieder die Grenze gezogen werden zwischen „uns“ und „den anderen“, die vor allem dazu dient sich selbst aufzuwerten und die hegemoniale Position in Europa zu sichern. Der Kommentator beschreibt Böhmermann gar als „Typus eines radikalisierten Abendländers, ein Ego-Faschist“, denn wenn das Wort Erdogan ausgewechselt wird durch z.B. Migrant, Muslim oder Jude, „dann hört sich das Ganze wie ein braunes Gedicht vom AfD- und Pegida-Clan an.“, wie es Hakan Tanriverdi in einem weiteren rassismuskritischen Artikel dazu zitiert.
Denn es ist wichtig zu sehen, dass diese Wörter, diese Konzepte, die Böhmermann benutzt, eben nicht in einem luftleeren Raum stehen, sondern im Kontext eines antimuslimischen Rassismus, der medial jahrzehntelange schon vermittelt wurde. Und im Kontext von strukturellen Ungleichheiten und Diskriminierungen von muslimischen Menschen und solchen, die dazu gemacht werden. Die Definitionsmacht liegt nicht bei ihnen und sie werden im antimuslimischen Rassismus zu Objekten gemacht. Der Autor schreibt zu dieser Alltäglichkeit von Anfeindungen und Ungleichheiten: „Für Böhmermann mag es neu sein, all diese Worte zu verwenden und – uuuh, ein Skandal. Die Realität ist: Es ist gelebter Alltag und schlicht ermüdend.“
Gerade in einer Zeit, in der 57 % der deutschen Bevölkerung den Islam als Bedrohung sehen, ist es nicht notwendig antimuslimischen Rassismus zu reproduzieren. Und das Recht auf Menschenverachtung sollte nicht als Satire-Freiheit eingefordert werden können. Denn gleichzeitig zu der Debatte um Böhmermann, wird z.B. in Niedersachsen weiterhin die Gleichstellung muslimischer Verbände durch CDU und FDP verhindert, der Fernsehmoderator Frank Plasberg fragt in Hart aber Fair, „ob der Islam ein Gewaltproblem hat“ und wegen des angeblichen Baus einer Rohrbombe und der Mitgliedschaft beim IS steht ein 30 Jahre alter Deutscher vor Gericht (Presseschaue des migazin vom 13.04.2016).
Muslimische Menschen geraten unter Generalverdacht und die rassistische Gewalt war seit den 1990er Jahren nicht mehr so hoch. Bei einem „islamistischen Terrorverdacht“ wird schnell ermittelt, bei neonazistischen Organisationen fällt es dem deutschen Staat dagegen eher schwer. Es ist nicht notwendig, noch weiter Öl ins Feuer zu kippen, denn Brände gab es in letzter Zeit bereits genug.

Literatur:

Weitere gute Artikel dazu, wie die Causa Böhmermann zeigt, dass Rassismus hoffähig ist, wie viel Potenzial der Text zur Instrumentalisierung für Rechte bietet, gegen die Böhmermann sich sonst auf verschiedene Arten positioniert und warum eine Auseinandersetzung mit dem Text relevant ist.

Verwendete Texte:

Shooman, Yasemin (2011). Keine Frage des Glaubens. In Sebastian Friedrich (Hrsg.), Rassismus in der Leistungsgesellschaft. Analysen und kritische Perspektiven zu den rassistischen Normalisierungsprozessen der  „Sarrazindebatte“ (S. 59–76). Münster: edition assemblage.

Terkessidis, Mark (1998). Psychologie des Rassismus (1998. Auflage). Opladen: Westdeutscher Verlag.

Said, Edward (2012/ 1978). Orientalismus (3. Auflage). Frankfurt: Fischer.