14 Fragen an DresdenPostkolonial

1. Wann habt Ihr euch gegründet?

2013

2. Wie viele Menschen sind bei euch tätig?

Ca. 10 Aktive, je nach Kapazitäten der einzelnen Personen.

3. Wie habt Ihr zusammengefunden?

Hervorgegangen aus einem Seminar zu Stadtgeschichte an der TU Dresden sind wir heute eine offene, interdisziplinär arbeitende Gruppe.

4. Was sind die Ziele eurer Arbeit?

Wir beschäftigen uns mit kolonialen Kontinuitäten im Stadtbild.  Das bedeutet, dass auch nach dem formellen Ende des Kolonialismus Bilder, Ideen und Machstrukturen weiterhin in unserem Bewusstsein und unserer Umgebung existieren. Das Wort „postkolonial“ soll darauf hinweisen, dass wir Kolonialgeschichte nicht als abgeschlossene Periode betrachten. Wir sehen in postkolonialen Ansätzen eine Chance, nicht-erzählte, marginalisierte Geschichten zu erzählen, Widerstandsperspektiven aufzuzeigen und auf heutige globale Machtungleichgewichte aufmerksam zu machen. Wir wollen dazu anregen, Geschichte kritisch zu hinterfragen und auch eigenes Verhalten zu reflektieren, sowie Kritik an der spezifischen Dresdner Erinnerungskultur zu üben

(Post)koloniale Machtstrukturen wirken bis heute vielseitig fort. Sie finden sich in wirtschaftlichen Ungleichheiten, aber auch in Stereotypen und Bildern vom vermeintlich „Fremden“ wieder. Und sie prägen den Umgang mit Geschichte: Kolonialgeschichte ist, wenn überhaupt, nur marginaler Teil der deutschen Erinnerungskultur, meist nicht mehr als eine kurze Fußnote. In der spezifischen historischen Selbstverortung Dresdens kommt sie so gut wie gar nicht vor. Dem möchten wir als Dresden Postkolonial entgegentreten.

5. Wie wollt Ihr über koloniale Strukturen in Dresden aufklären?

Wir wollen darüber aufklären mit einer rassismuskritischen und postkolonialen Bildungsarbeit in Form von (postkolonialen) Stadtrundgängen, Seminaren, Ausstellungen und Vorträgen. Außerdem organisieren und planen wir in Zusammenarbeit mit anderen zivilgesellschaftlichen und rassismuskritisch arbeitenden Akteur*innen und Initiativen Demonstrationen und spezifische Aktionen. Wir suchen die Auseinandersetzung mit Institutionen und mischen uns in öffentliche Debatten ein, indem wir sie durch eine rassismuskritische, intersektionale und dekoloniale Perspektive erweitern. 

6. Wo überall erkennt Ihr koloniale Strukturen?

Koloniale Strukturen finden sich überall: im Denken, im Handeln, in Strukturen, in der Architektur, in der Sprache und in Institutionen wie zum Beispiel Universitäten. Unser spezieller Fokus ist dabei das Stadtbild- und die Stadtgeschichte sowie struktureller Rassismus.

Als Beispiel: Die Existenz ethnologischer Sammlungen ist eng mit dem Kolonialismus verbunden. In der ethnologischen Sammlung Dresden befinden sich zum Beispiel Gebeine kolonialisierter Menschen. Diese wurden zur pseudowissenschaftlichen, rassistischer Forschung nach Deutschland verbracht, die zum Zweck hatte die Überlegenheit weißer Menschen zu konstruieren. Weitere Beispiele sind kolonial markierte Straßennamen, die Geschichte der DDR-Vertragsarbeit, die Romantisierung indigener Gesellschaften Nordamerikas durch Karl May etc.

7. Warum ist es wichtig, über koloniale Strukturen aufzuklären?

Koloniale Strukturen sind auch nach dem formellen Ende des Kolonialismus in der ganzen Welt sehr wirkmächtig aber werden in Deutschland oft nicht behandelt; dabei würde dies vielen Menschen helfen globale aber auch lokale Ungleichheiten sowie transnationale Verflechtungen zu verstehen. Ökonomische und politische Macht ist noch immer ungleich verteilt entlang der europäischen Gesellschaften und kolonialisierten Gesellschaften. Dieses globale System setzt sich auch in Deutschland fort, zum Beispiel im Rassismus: Bilder, Stereotype, Vorurteile gegenüber dem konstruierten „Anderen“ haben ihren Ursprung in der Kolonialisierung durch weiße Europäer*innen. Koloniale Kontinuitäten und ihre Gewalttätigkeit kann unter anderem in der Wirkmächtigkeit deutscher Firmen in ehemaligen kolonisierten Gesellschaften, aber auch im Sterben-Lassen im Mittelmeer erkannt werden. Wichtig dabei ist Rassismus als Unterdrückungssystem verschränkt mit anderen Diskriminierungssystemen wir Sexismus, Klassismus, Ableismus zu betrachten und deren koloniale Ursprünge zu erforschen.

8. Wie steht Ihr zu Debatte zu Statuen, Plätzen etc., welche kurz nach dem Mord an George Floyd entbrannte?

Wenn wir wirklich in einer rassismuskritischen Gesellschaft leben wollen, dürfen wir Kolonialverbrecher*innen und menschenverachtenden Sprache keinen Platz geben. Die zentrale Idee dahinter ist, dass solche Orte und Straßennamen unsere Vorstellung von Geschichte prägen. In Hamburg wird im Rahmen der kritischen Auseinandersetzung mit Straßennamen vom „Gedächtnis der Stadt“ gesprochen. Nun stellt sich die Frage auch in Dresden wem und was gedacht werden soll – denn dies sagt viel über eine Gesellschaft aus. Gerade hier im Osten Deutschlands wurde sich nach dem Ende des Nationalsozialismus diese Frage auch gestellt und sogar ganze Städte umbenannt. Mit dem Fall der Mauer verschwanden z.B. Stalinstatuen. Bei Nationalsozialistischen Verbrecher*innen ist man sich eher einig, dass dieser menschenverachtenden Ideologie kein Raum im Stadtbild geboten werden soll – warum nicht auch beim Kolonialismus? Wir gehen davon aus, dass für eine rassismuskritische und dekoloniale Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte eine postkoloniale Betrachtung des Stadtbildes nötig ist. Und das ist kein geschichtsvergessener Bildersturm sondern einfach genau das Gegenteil: der bewusst Umgang mit deutscher Geschichte und das Anerkenntnis historischen und gegenwärtigen Leides.

(Gleiche Antwort wie bei Punkt 10)

9. Wie steht Ihr zur Umbenennung von Straßennamen?

Wir leben in einer rassistischen Gesellschaft die zutiefst vom Kolonialismus geprägt ist – deshalb ist es zunächst keine Überraschung, dass solche Straßennamen existieren. Die Umbenennung ist eine Möglichkeit im Umgang mit kolonial markierten Orten. Das Vorgehen ist aber kontextabhängig vom Einzelfall und muss in Rücksprache mit Betroffenen etc. geschehen. Umbenennungen sind jedoch unserer Ansicht nach in vielen Fällen geboten, wenn dadurch rassistische Stereotypen und Ideologien verbreiten werden sowie wenn Individuen, die dem Kolonialismus Vorschub geleistet haben, öffentlich geehrt werden. Dies ist kein einfacher Prozess, da viele deutsche Persönlichkeiten in Rassismus, Nationalismus und Kolonialismus verwickelt waren. Das macht jedoch gleichzeitig auch die Dringlichkeit klar. 

10. Warum glaubt Ihr, ist das wichtig?

Wenn wir in einer rassismuskritischen Gesellschaft leben wollen, dürfen wir Kolonialverbrecher*innen sowie menschenverachtender Sprache keinen Platz geben. Die zentrale Idee dahinter ist, dass solche Orte und Straßennamen unsere Vorstellung von Geschichte prägen. In Hamburg wird im Rahmen der kritischen Auseinandersetzung mit Straßennamen vom „Gedächtnis der Stadt“ gesprochen. Nun stellt sich die Frage wem und was gedacht werden soll – das sagt viel über eine Gesellschaft aus. Gerade hier im Osten Deutschlands wurde sich nach dem Ende des Nationalsozialismus diese Frage auch gestellt und sogar ganze Städte umbenannt. Mit dem Fall der Mauer verschwanden z.B. Stalinstatuen. Für eine rassismuskritische und dekoloniale Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte ist eine postkoloniale Betrachtung des Stadtbildes nötig. Und das ist kein geschichtsvergessener Bildersturm sondern genau das Gegenteil: der bewusste Umgang mit deutscher Geschichte und das Anerkenntnis historischen und gegenwärtigen Leides.

11. Was genau kritisiert Ihr an:

  • Dr. Wilhelm Külz

Dr. Külz ist deswegen eine zwiespältige Person, da sie sich zwar gegen die Nationalsozialisten zur Wehr setzte jedoch eng mit dem deutschen Kolonialismus verstrickt war. Wir erleben auch in umgekehrter Konstellation, dass sich das nicht ausschließen muss.

In der gegenwärtig verbreiteten Darstellung droht sein Wirken in der kolonialen Vergangenheit Deutschlands in Vergessenheit zu geraten. Er war 1907 als Reichskommissar in der Kolonie Deutsch-Südwestafrika (im heutigen Namibia) tätig. Zu dieser Zeit töteten die deutschen Besatzungskräfte zehntausende von Herero und Nama und internierten weitere tausende Menschen in Konzentrationslagern. Das hielt Kurz nicht davon ab, nach seiner Zeit in Namibia, als begeisterter Propagandist durchs Land zu ziehen und Vorträge zu halten. 

  • Amalie Dietrich

Die sächsische Botanikerin und Forschungsreisenden Amalie Dietrich aus Siebenlehn war im Auftrag einer Firma 10 Jahre lang im kolonialisierten Australien tätig. Die Firma profitierte vom aufkommenden Seehandel in Zeiten des Kolonialismus. Für das hauseigene Museum schickt Neben Pflanzen und Tieren auch menschliche Skelette nach Hamburg.  Die Jagd auf menschliche Skelette führte dazu, dass sie von der indigenen Bevölkerung den Namen „Angel of Black Death“ bekam. Sie reiste dabei mit brit. Siedlern, welche sich auf blutige Art und Weise Land aneigneten.

12. Wollt ihr, dass die Straßen/ Plätze/Orte/Krankenhäuser, die diese Namen tragen, umbenannt werden?

Wir denken, dass die Umbenennung ein wichtiger Beitrag zur kritischen Auseinandersetzung mit Rassismus und Kolonialismus sein kann. Weiterhin ist wichtiger Aspekt, dass durch die dadurch entstehenden Debatten gesellschaftliche Haltungen offengelegt werden und die breite Öffentlichkeit angeregt wird, sich kritische mit ihrer Umgebung und Geschichte auseinanderzusetzen

13. Was für Alternativen schweben Euch vor?

Es wird im Rahmen des Kolonialismus zumeist nur den Kolonisator*innen gedacht. Die Kolonialgeschichte hat mehrere Seiten, es gibt nicht nur Opfer und Verbrecher*innen sondern zum Beispiel auch Widerstandkämpfer*innen die in geschichtliche Ereignisse involviert waren. Hier gibt es andere Personen die man würdigen kann ohne das Ereignis oder die Epoche an sich aus dem Gedächtnis der Stadt zu verbannen.

14. Wie sollte diesen Menschen eurer Meinung nach korrekt gedacht werden?

Es gibt unserer Ansicht keine einheitliche Formel wie Erinnerung geschehen soll. dies ist stark kontextabhängig und muss stets Menschen einbeziehen, die von (neo-)kolonialen Diskriminierungssystemen betroffen sind. Gleichzeitig muss man anerkennen, dass die Umbenennung von Straßen nur ein kleiner Beitrag zur Dekolonialisierung europäischer Gesellschaften und Politik ist. Reparationen müssen zum Beispiel gezahlt werden und diskriminierende Strukturen und Systeme abgebaut werden.