Statement im Rahmen des Gedenkens an Jorge Gomondai

Am 6.4.1991 verstarb Jorge Gomondai an den Folgen eines rassistischen Angriffes in Dresden. Lange wurde dieser rassistische Mord nicht als solcher anerkannt. Doch der Mord an Jorge Gomondai stand im Kontext steigender Zahlen rassistischer und rechtsmotivierter Angriffe und Morde, Pogrome und den daraus folgenden Asylrechtsverschärfungen anfang der 1990er Jahre. Die aktuellen Ereignisse erinnern viel zu oft an diese Zeit und verdeutlichen Kontinuitäten von rassistischen Angriffen bis hin zu menschenverachtenden Gesetzgebungen.


Jorge Gomondai lebte als mosambikanischer Vertragsarbeiter in Dresden Gorbitz. Schon in der DDR waren die Vertragsarbeiter*innen getrennt vom Rest der Bevölkerung in eigenen Heimen untergebracht. Diese räumliche Trennung manifestierte bereits damals eine rassistische Aufteilung der Menschen in „Wir“ und „die Anderen“. Vertragsarbeiter*innen war es nicht gestattet ihren Wohnort frei zu wählen. Innerhalb der Heime gab es Wachpersonal, was unter anderem die Einhaltung der restriktiven Besuchzeiten überprüfte. Auch ihre Aufenthaltsdauer in der DDR war vertraglich und staatlich reguliert. Und obwohl sich die DDR als „antifaschistischer Staat“ verstand, zeigte unteranderem die Unterbringung und Ausgrenzung der Menschen, dass es auch in der DDR institutionellen Rassismus gab. Die damals errichteten Heime blieben nach der „Wende“  weiter als sogenannte „Ausländerheime“ bestehen und wurden wie in Rostock-Lichtenhagen und Hoyerswerda anfang der 1990er Jahre zum Angriffsziel des neuerstarkten weißen deutschen Volksmobs[1].

Heute zwingt das Land Sachsen die Menschen, die hier ihr Recht auf Asyl in Anspruch nehmen wollen, in sogenannten „Zeltstädten“ und anderen unwürdigen Massenunterkünften zu leben. Die Situation in solchen Lagern ist untragbar. Es gibt weder ausreichende medizinische Versorgung noch genügend Lebensmittel und keinerlei Privatsphäre. Die Menschen werden heute immer noch räumlich ausgegrenzt und die rassistischen Gesetzgebung verhindert gemeinsame Lebensräume und ein menschenwürdiges, selbstbestimmtes Leben.
Parallel dazu sammeln sich unter dem altbekannten nationalistischen Slogan „Wir sind das Volk“ Menschen vor genau solchen Unterkünften in Freital, Clausnitz oder Dresden. Vor der sogenannten „Zeltstadt“ in der Bremer Straße, in Dresden Stetzsch oder Heidenau lassen sie ihrer rassistischen Hetze Taten folgen. DieseTaten werden aber nicht nur von organisierten Neonazis begangen, sondern von allen, die sich diesem „Volk“ zugehörig fühlen. Nicht zuletzt Clausnitz hat gezeigt, dass dem Rassismus der weißen Nachbar*innenschaft konkrete Gewalttaten folgen. Allein im Jahr 2015 hat sich die Zahl der bekannten rechtsmotivierten und rassistischen Angriffe im Vergleich zum Vorjahr fast verdoppelt. Die Statistik der Opferberatung RAA e.V. zählt 477, davon 74 Angriffe auf Unterkünfte für Geflüchtete, davon 19 Brandstiftungen und 21 gefährliche Körperverletzungen. Und diese Zahlen sind nur die Spitze des Eisberges. Bewegungen wie PEGIDA oder „Nein zum Heim“ bereiten zusammen mit der rassistischen und repressiven Gesetzgebung den Nährboden für genau solche Taten.

Der Fall Clausniz kann dabei exemplarisch für rassistisches und repressives Vorgehen staatlicher Behörden und ein ignorieren des Problems gelesen werden. Anstatt das grölende „Volk“ daran zu hindern den Bus mit geflüchteten Menschen anzugreifen, gingen die eingesetzten Beamt*innen gewalttätig  gegen die Insassen des Busses vor. Damit haben sie unmittelbar den rassistischen Willen des „Volkes“ Folge geleistet. Im Anschluss wurde dieses Agieren von ihren Vorgesetzten noch verteidigt. Erst als durch bundesweite Berichterstattung der Ruf des Landes in Gefahr schien, fühlten sich Tillich und Co. gezwungen sich zu äußern. In gewohnter Manier verteidigte Markus Ulbig den Polizeieinsatz und Stanislaw Tillich sorgte sich um den Ruf seines Freistaates. Die Bedrohung und Angriffe auf die ankommenden Menschen werden dabei nicht als Problem gesehen. So Tillich mit den Worten: „Es wird uns Kraft und Zeit kosten, den guten Ruf als weltoffenes und inspirierendes Land wieder komplett herzustellen“. Dieser Satz verdeutlicht die völlige Verkennung der rassistischen Kontinuitäten in Sachsen. Auch Tillichs Einsicht nach Clausnitz: „Ja, es stimmt: Sachsen hat ein Problem mit Rechtsextremismus und es ist größer, als viele – ich sage ehrlich: auch ich – wahrhaben wollten“ zeigt nur den Unwillen das Zusammenspiel von Rassismus und rechten Terror zu thematisieren. Einerseits wird versucht die Taten von Clausnitz anhand der altbekannten Extremismustheorie an den vermeintlichen „Rand der Gesellschaft“ zu verlagern und somit das Bild der sogenannten „weltoffenen Mitte“ aufrecht zu erhalten. Andererseits verdeutlicht dieser Ausspruch, wie sehr rechter Terror systematisch relativiert und verharmlost wird. In einem Bundesland in dem eine Organisation wie die SSS („Skinheads sächsische Schweiz“)* frei agieren und sich ein Terrornetzwerk, wie der NSU, sich seinem Unterstützer*innennetzwerk sicher sein konnte, wirkt solch eine vermeintliche Erkenntnis im Jahre 2016 wie blanker Hohn. Nicht nur der Mord an Jorge Gomondai zeigt, dass rassistische und rechtsmotivierte Gewalt in Sachsen nicht erst seit Clausnitz existiert.
Vielmehr geschah dieser im Rahmen einer gesellschaftlichen Stimmung, die (wie heute) von einem rassistisch – nationalistischen Diskurses geprägt und von restriktiven staatlichem Handeln begleitet war. Der Mord an Jorge Gomondai reiht sich ein, in eine Vielzahl von Gewalttaten der 1990er Jahre. Darunter die Pogrome in Hoyerswerda und Rostock – Lichtenhagen. Durch die darauf folgende Abschaffung des Rechtes auf Asyl in Deutschland wurden diese nachträglich legitimiert. Statt den Rassismus des weißen deutschen „Volkes“ zu thematisieren, leiden die Betroffenen unter den „Konsequenzen“ die der deutsche Staat daraus zieht. Die Verleumdung von Rassismus und dem daraus folgenden Reaktionsmuster setzt sich bis heute fort. Das staatlicheHandeln – die Verschärfung der Asylgesetze, das Errichten von Lagern und die Schließung von Grenzen – spiegelt nur das wieder, was PEGIDA und Co. auf die Straße tragen. Das Rassismus kein Problem einer Randgruppe ist, zeigt auch die faktische Abschaffung des Rechtes auf Asyl in Europa, durch den Deal der EU mit Erdogans Türkei und das damit faktische Beibehalten einer rassistischen Antikurd*innenpolitk der 90er-Jahre. Wer solche menschenfeindliche Gesetze schafft, unterscheidet sich nur durch eine staatlich – institutionelle Legitimation von den Menschen, die „Wir sind das Volk“ brüllend die Festung Europa verteidigen.

Dresden Postkolonial

unterstützt von

Critique’n’act


 

[1] siehe dazu auch: http://dresden-postkolonial.de/freispruch-von-oben/